Zum ersten Mal wählt Russland einen Kremlchef für sechs und nicht mehr nur für vier Jahre. Umfragen sehen Waldimir Putin als Favorit.

Moskau/Hamburg. Bei der Präsidentenwahl in Russland sind am Sonntag noch während der Abstimmung erste Betrugsvorwürfe laut geworden. Die unabhängige Wahlbeobachtergruppe Golos berichtete von mehr als 2000 Manipulationsversuchen. Dem widersprach die Regierung von Ministerpräsident Wladimir Putin, der als haushoher Favorit in die Wahl geht. Jüngsten Umfragen zufolge dürfte Putin zwischen 59 und 66 Prozent der Stimmen auf sich vereinen und damit bereits im ersten Wahlgang zum Nachfolger von Amtsinhaber Dmitri Medwedew gekürt werden.

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Das Regieren dürfte für Putin, der bereits zwischen 2000 und 2008 zwei Amtszeiten als Präsident bestritt, künftig aber schwerer werden. Seine Popularität bröckelt: Zuletzt waren in landesweiten Demonstrationen wiederholt zehntausende Menschen auf die Straße gegangen, um ihren Unmut über die Machtkonzentration in den Händen des 59-Jährigen Luft zu machen. Auch nach der Präsidentenwahl waren Proteste angekündigt.

Um die Bevölkerung von der Transparenz der Wahlen zu überzeugen, ließ Putin in allen 91.000 Wahllokalen Webcams installieren. Die Wahl wurde von internationalen Beobachtern und Vertretern der Opposition überwacht. Ihr sei der Zugang als Beobachterin zu einem Wahllokal in Sankt Petersburg verweigert worden, sagte Ksenia Sobchak, die Tochter des früheren Bürgermeisters der Stadt, Anatoli Sobtschak. Blogger berichteten von angeblichen Betrugsversuchen im Raum Moskau. So seien etwa Wähler-Gruppen von einem zum nächsten Wahllokal transportiert worden, um immer wieder ihre Stimme abzugeben. Der Trick ist bekannt als „Karussell-Methode“. „Wow, wir haben Karussells erwartet, aber nicht in diesem Ausmaß“, schrieb Russlands wohl bekanntester Blogger Alexej Nawalni auf Twitter.

Putin und seiner Partei Einiges Russland war bereits massiver Betrug bei der Parlamentswahl im Dezember vorgeworfen worden. Danach bildete sich die größte Protestbewegung seit dem Zerfall der Sowjetunion vor mehr als 20 Jahren heraus. Auf die Straße gingen bislang hauptsächlich gut verdienenden und ausgebildete Städter, die mehr Demokratie und Mitbestimmung fordern.

Es zeichnete sich eine hohe Wahlbeteiligung ab. Bereits bis 13.00 Uhr Moskauer Zeit gaben 30 Prozent der rund 109 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab – deutlich mehr als bei der Wahl vor vier Jahren. Da sich Russland über neun Zeitzonen erstreckt, hat die Wahl im äußersten Osten nach mitteleuropäischer Zeit bereits am Samstagabend begonnen. Die letzten Wahllokale schließen um 18.00 Uhr (MEZ) in Kaliningrad. Kurz danach wird mit ersten Ergebnissen gerechnet. Putin gab seine Stimme zusammen mit seiner Frau Ljudmila in einem Wahllokal in Moskau ab. Auf die Frage von Journalisten, ob er eine Stichwahl ausschließen könne, sagte er lediglich: „Das hängt von den Wählern ab.“ Kurz nachdem er das Wahllokal verlassen hatte, protestierten dort drei barbusige Frauen. Sie riefen: „Putin ist ein Dieb.“

Putins vier Gegenkandidaten können dem mächtigsten Politiker Russlands Umfragen zufolge nicht gefährlich werden. Stärkster Herausforderer dürfte demnach Kommunisten-Chef Gennadi Sjuganow werden. Die übrigen drei Kandidaten, der Chef der Ultranationalisten, Wladimir Schirinowski, der Vorsitzende der als kremlnah geltenden Partei Gerechtes Russland, Sergej Mironow, und der Multimilliardär und Unternehmer Michail Prochorow, bleiben vermutlich unter zehn Prozent der Stimmen. Ein Sieg in der ersten Wahlrunde würde Putin ein stärkeres Mandat bescheren. Sollte er unter 50 Prozent der Stimmen bleiben, müsste er sich im Laufe des März in einer Stichwahl seinem stärksten Konkurrenten stellen. Medwedew soll nach Putins Worten nach der Präsidentenwahl von ihm das Amt des Ministerpräsidenten übernehmen.

Putin steht vor der Aufgabe, die rückständige Wirtschaft des Landes zu modernisieren und die Abhängigkeit von Öl- und Gasexporten zu reduzieren. Angesichts der wachsenden Proteste wird er Experten zufolge auch nicht um liberale Reformen herumkommen. Der Ex-KGB-Agent will das Land wieder zu einer Weltmacht machen. Er stellt sich selbst immer wieder als Garant für Stabilität in dem Riesenreich dar. Einst hatte er sich bei vielen Russen Respekt verschafft, indem er Ordnung in das Chaos nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion brachte. Nach seinen zwei Amtszeiten als Präsident verbot die Verfassung eine erneute Wahl, so dass er vorübergehend das Ministerpräsidentenamt übernahm. Jetzt könnte er theoretisch erneut zwei mittlerweile auf sechs Jahre verlängerte Amtszeiten als Präsident bestreiten und damit bis 2024 am Schalthebel der Macht des weltgrößten Energie-Produzenten bleiben.