Mindestens zwölf Todesopfer. Minderheiten-Konflikte in Tibet und Xinjiang überschatten die bevorstehende Tagung des Volkskongresses

Peking. Mindestens zwölf Menschen seien umgekommen, ein "Mob von Aufrührern" habe die Opfer mit Hackmessern erschlagen, abends auf der Xingfu-Straße, der "Straße des Glücks", zwei der Gewalttäter seien von der Polizei erschossen worden. So stellt die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua den erneuten Gewaltausbruch aufständischer Uiguren in der Unruheprovinz Xinjiang in der Nacht zum Mittwoch dar. Die englischsprachige Parteizeitung "Global Times" berichtet zudem, dass die Gewalttäter nach Behördenangaben "Terroristen" gewesen seien. Doch weder hier noch dort wurde erklärt, wie es zu dem Gemetzel auf offener Straße in der an Pakistan und Indien grenzenden Kreisstadt Yecheng kam. Etwa 93 Prozent der 500 000 Einwohner sind Uiguren.

Peking hat inzwischen eine Nachrichtensperre verhängt. Die Regierung bereitet den jährlichen Volkskongress vor - die neun Tage, in denen Chinas Parlament tagt. Am Montag kommen dazu knapp 3000 Delegierte aus 31 Provinzen in Peking zusammen. Es ist die abschließende Parlamentssitzung vor dem Großen Wahlparteitag im Spätherbst und dem im März 2013 folgenden Regierungswechsel. Seit Wochen zeigt sich Peking besorgt, dass Minderheiten-Konflikte in Tibet und Xinjiang die Tagungen überschatten könnten. Truppen und Polizei sind auf dem Dach der Welt verstärkt und die Region bis Ende März für den Besuch von Touristen und Journalisten gesperrt worden. Vor fünf Jahren, im März 2008, war Chinas Führung auf dem Volkskongress vom Ausbruch schwerer Unruhen in Tibet überrascht worden. Sie entzündeten sich am Jahrestag der tibetischen Volkserhebung gegen die chinesische Oberherrschaft vom März 1959.

Die aktuelle Lage in Tibet und den Randprovinzen gilt als extrem angespannt. Seit März 2011 haben sich mehr als 22 Mönche und Nonnen aus Protest gegen ihre Verfolgung und Kontrolle der Klöster und Pekings Bekämpfung des Dalai Lama mit Benzin übergossen und angezündet.

Auch in Xinjiang haben sich die Behörden auf neue Proteste eingestellt. Ende Januar wurden die Polizeitruppen in der von 21 Millionen Menschen bewohnten Provinz (acht Millionen gehören der chinesischen Mehrheits-Ethnie der Han an, 13 Millionen sind Muslime) um 8000 Mann verstärkt. Im Juli 2009 war ein lokaler Streit in der Hauptstadt Ürümqi zu einem vor allem gegen die Han gerichteten Massenaufruhr eskaliert, der 197 Tote und mehr als 1700 Verletzte forderte. 2010 und 2011 wurden aus Städten wie Kasghar oder Hotan neue Gewalttaten mit Dutzenden Toten gemeldet. Mit Messern, Beilen, Knüppeln und Brandsätzen attackierten junge Uiguren Polizeistationen und metzelten Passanten auf der Straße nieder. Polizeitruppen erschossen zahlreiche Aufständische. Chinas Behörden unterstellten allen Gewalttätern, von außen gesteuerte Terroristen oder Islamisten zu sein, die einen "ostturkestanischen Staat" errichten wollten.

Wenn man jedoch den Augenzeugen glaubt, die sich später beim US-Sender Radio Free Asia meldeten, dann führten lokale Konflikte zu den Unruhen, etwa nachdem Chinesen uigurische Jugendliche mit Beleidigungen provoziert hatten. Der bevorstehende Volkskongress sieht sich allerdings auch noch mit anderen Problemen konfrontiert. So haben die Familien der Opfer der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung von 1989 eine gerechte Aufarbeitung des brutalen Militäreinsatzes gefordert. Die "Mütter von Tiananmen" haben einen offenen Brief an die fast 3000 Delegierten geschickt. In dem Appell fordern die Angehörigen, dass Ermittlungen zum Massaker aufgenommen, die Familien entschädigt und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.

"Wir wollen nicht, dass eine Neubewertung und gerechte Aufarbeitung des Massakers vom 4. Juni 1989 auf unbestimmte Zeit aufgeschoben wird", heißt es in dem Schreiben, das die in den USA ansässige Menschenrechtsorganisation Human Rights in China (HRiC) veröffentlichte. Die Regierung solle ohne Vorbedingungen einen Dialog mit den Opfern und den Familien aufnehmen. Entschärft hat die Regierung in Peking unterdessen das geplante Strafverfahrensrecht. Bürgerrechtler sollen in Zukunft doch nicht heimlich über Monate unter Hausarrest irgendwo festgehalten werden können, ohne ihre Familien und Anwälte zu unterrichten. Das war ursprünglich im geplanten neuen Strafverfahrensrecht vorgesehen. Die heftig umstrittene Klausel im Entwurf sei aber wieder fallen gelassen worden, berichtete Professor Chen Guangzhong von der Universität für Recht und Politik in Peking. Der neue Entwurf soll nun dem Volkskongress zur Absegnung vorgelegt werden.