Das Volk bestimmt heute den Übergangspräsidenten. Es gibt nur einen Kandidaten

Sanaa. Mehr als 30 Jahre lang zierte ein kleines Foto von Präsident Ali Abdullah Saleh alltäglich die linke obere Ecke der Titelseite von "Al-Thaura". Am 1. Februar wagte es die neue Redaktionsleitung der jemenitischen Regierungszeitung, auf das Bild zu verzichten: Schon am nächsten Tag stürmten bewaffnete Anhänger des scheidenden Präsidenten das Gebäude. Wiederum einen Tag später war das Foto wieder an seiner angestammten Stelle zu sehen.

Der Sturm auf die Zeitung unterstreicht, mit welchen Schwierigkeiten der Jemen bei der Machtübergabe zu kämpfen haben wird. Wenn heute der bisherige Vizepräsident Abed Rabbo Mansur Hadi zum Nachfolger Salehs gewählt wird, knüpfen sich daran zwar große Hoffnungen auf Demokratisierung - aber auch Ängste, dass ein anhaltender Einfluss des Ex-Präsidenten das Land nicht zur Ruhe kommen lässt.

Saleh, der sich erst nach massiven Protesten im Inland und starkem Druck von außen zur Machtübergabe bereit erklärte, hat sich nach 33 Jahren an der Spitze einen weichen Abgang ausgehandelt. Ihm und seiner Familie wurde Immunität vor Strafverfolgung im Zusammenhang mit dem Tod Dutzender Demonstranten zugesichert.

Sein Sohn, Neffen und weitere Verwandte spielen weiter eine starke Rolle in Streit- und Sicherheitskräften. Saleh loyal gesinnten Politikern unterstehen wichtige Ministerien der Einheitsregierung. "Wir gehen alle davon aus, dass der Präsident eine Figur im politischen Bild bleiben wird", erklärt Vize-Informationsminister Abdu al-Dschanadi. "Es wird zugunsten des Vizepräsidenten sein."

Das sehen andere nicht so. Als Strippenzieher hinter den Kulissen wollen sie ihn nicht haben. "Saleh ist wie Putin", sagt der Aktivistenführer Chaled al-Anesi mit Blick auf den russischen Ministerpräsidenten, der das Präsidentenamt vor vier Jahren räumte, aber weiter die stärkste politische Figur im Land ist. "Er verfügt über den Reichtum, über die Medien, seine Verbündeten sind an der Macht. Sein Regime ist immer noch da." Der Vize-Chef von Islah, der stärksten Oppositionsgruppe, widerspricht: "Ali Abdullah Saleh hat keine Zukunft. Er wird nur wenige Möglichkeiten zum Handeln haben. Politisch ist er gestorben." So oder so: Die Gräben sind noch tief. "Für mich heißt das, dass wir noch viele Herausforderungen vor uns haben", sagt ein westlicher Diplomat mit Blick auf die Vorgänge bei der staatlichen Zeitung. "Es gibt immer noch Elemente auf beiden Seiten, die sich mit dem Übergang nicht abgefunden haben."

Auch zwischen der politischen Opposition, die an der Einheitsregierung beteiligt ist, und den Aktivisten auf den Straßen, herrscht keine Einigkeit über die Frage, wie der Jemen in die Zukunft gehen soll. Während die Politiker die Präsidentenwahl, bei der Hadi als einziger Kandidat aufgestellt wurde, als Chance begrüßen, kommt von unten scharfe Kritik. "Ich bin von der internationalen Gemeinschaft überrascht", sagt der Aktivist Fuad Schudschaa Aldin. "Wie können sie so etwas unterstützen? Wie können sie das als Wahl durchgehen lassen?"

Hadi sei nun einmal der beste Kompromisskandidat, halten die Befürworter dagegen. Er soll den Jemen in einer Übergangsperiode von etwa zwei Jahren in eine neue politische Ära führen. Das Ausland erhofft sich von Hadi zumindest Stabilisierung. US-Präsident Barack Obama sicherte ihm bereits Unterstützung zu. Die neue Regierung in der Hauptstadt Sanaa soll nicht zuletzt gegen den wachsenden Einfluss von al-Qaida vorgehen. Hadi werde den Anti-Terror-Kampf in Kooperation mit den USA fortsetzen, zeigt sich ein führender Beamter des US-Außenministeriums überzeugt. Für die Stabilität der gesamten Region sei dies wesentlich.