Nach Eklat um gescheiterte Uno-Resolution: Truppen des Assad-Regimes beschießen Wohngegenden in Homs mit Mörsern und Raketen

Hamburg. "Seit 6.30 Uhr heute Morgen hat sich der Beschuss auf eine Rate von einer Granate alle zwei Minuten intensiviert." Der Satz klingt, als stamme er von einem Kriegsberichterstatter, doch er wurde von einem verzweifelten Mitglied der syrischen Opposition an einen Reporter des Londoner "Independent" durchgegeben. Der Mann namens Omar Shaker war Augenzeuge des mörderischen Raketen- und Granatenbombardements, mit dem die Truppen des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad auch gestern Wohngebiete der Stadt Homs unter Feuer nahmen. Die uralte Stadt mit rund einer Million Einwohnern gilt als "Hauptstadt der syrischen Revolution" und hat in den knapp elf Monaten des Aufbegehrens gegen das Assad-Regime bereits heftig unter dem Vernichtungsfeldzug der syrischen Armee gelitten. Teile der Stadt sind bereits in Trümmer geschossen; allein am Wochenende soll es in Homs mehr als 300 Tote gegeben haben.

Gestern sollen weitere 50 Menschen ums Leben gekommen sein. Omar Shaker, ein Bewohner des Stadtteils Baba Amr, berichtete, wie gezielt eine Klinik beschossen wurde, in der Verwundete behandelt werden.

"Es ist entsetzlich. Gerade heute ist es wirklich entsetzlich", sagte ein anderer Augenzeuge, Abu Omar, dem US-Sender CNN. Die Armee habe ohne Vorwarnung angegriffen. "Gewöhnlich verwenden sie Mörsergranaten. Jetzt aber setzen sie Raketen ein. Wir können sie am Himmel sehen."

Omar berichtete, es gebe nicht genug Ärzte und Medikamente zur Versorgung der Verletzten, viele von ihnen würden in provisorischen Lazaretten behandelt, die in Wohnungen eingerichtet worden seien. Menschen stürben dort, weil sie nicht fachgerecht operiert werden könnten. Der Mann erzählte von einem Kind, das buchstäblich "in Stücke geschossen" worden sei. Die Gesamtzahl der Todesopfer der syrischen Unruhen wird inzwischen auf mehr als 7000 geschätzt.

Die syrische Opposition befürchtet, dass Assad nach dem Veto, mit dem Russland und China am Sonnabend in New York eine Syrien-Resolution des Uno-Sicherheitsrats verhindert hatten, nun mit noch größerer Brutalität vorgehen wird. In der Resolution sollte Assad dazu aufgefordert werden, das Blutvergießen zu stoppen. Die amerikanische Uno-Botschafterin Susan Rice sagte, Russland und China würde nun jenes Blut an den Händen kleben, das von nun an in Syrien vergossen werde. Ganz ähnlich äußerte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin. Sie und der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy zeigten sich "nicht nur enttäuscht, sondern entsetzt".

"Es ist ein Skandal, was da passiert ist", sagte Sarkozy. "Wir sind nicht bereit, die Blockade der internationalen Gemeinschaft zu akzeptieren." Merkel forderte Assad noch einmal zum Rücktritt auf. Sie und Sarkozy wollen eine internationale Syrien-Kontaktgruppe ins Leben rufen. Der französische Uno-Botschafter Gerard Araud sagte, Moskau und Peking hätten sich mit einem Regime solidarisiert, das sein eigenes Volk massakriere.

US-Außenministerin Hillary Clinton nannte die Vorgänge in der Uno eine "Travestie"; ihr britischer Kollege William Hague sprach mit Blick auf Damaskus von einem "mörderischen Regime". China und Russland verteidigten sich vehement gegen die Kritik an ihrer Haltung. "China nimmt diese Anschuldigungen nicht an", hieß es in Peking. "Wir sind nicht egoistisch in unseren Entscheidungen. Wir halten das Recht hoch und nehmen eine verantwortungsbewusste Haltung ein."

Der russische Außenminister Sergej Lawrow sagte, einige Reaktionen des Westens seien "an der Grenze der Hysterie". Der Resolutionsentwurf sei "übereilt" vorgelegt worden - bevor er und der russische Auslandsgeheimdienstchef Michail Fradkow sich selber ein Bild von der Lage in Syrien hätten machen können. Lawrow will heute nach Damaskus reisen.

China erstickt die demokratische Bewegung im eigenen Land und will Syrien zudem als Handelspartner erhalten. Russland ist ein alter Verbündeter des seit 40 Jahren herrschenden Assad-Clans, verkauft Syrien Waffen im Wert von vier Milliarden Dollar pro Jahr, unterhält im syrischen Tartus seinen einzigen Flottenstützpunkt im Mittelmeer und baut ihn aufwendig aus. Beide Staaten nutzen die Krise zudem, um sich gegen die USA zu positionieren.

Die Außenminister der Arabischen Liga wollen am Sonntag in Kairo über Syrien beraten. Hauptziel sei es, "der Gewalt und dem Morden ein Ende zu setzen und die Zivilisten zu schützen", sagte der Vorsitzende der Liga, Nabil al-Arabi. Die USA und die EU wollen nach dem Debakel in New York den politischen Druck auf das Assad-Regime erhöhen. Clinton kündigte zudem neue Strafmaßnahmen gegen die syrische Regierung an, um "die Finanzquellen und die Waffenlieferungen auszutrocknen, mit denen die Kriegsmaschinerie des Regimes am Leben gehalten" werde. Angesichts des "kastrierten" Sicherheitsrats wolle Washington nun eine Lösung außerhalb der Uno suchen. Die US-Regierung schloss gestern die amerikanische Botschaft in Damaskus und zog das Personal ab.