Howard E. Wasdin gehörte zur US-Eliteeinheit Navy Seals Team Six. Die Einheit tötete Bin Laden und befreite jüngst zwei Geiseln in Somalia. Auch Wasdin erschoss viele Gegner, wurde verwundet und ging durch die Hölle. Sein Fazit: Auch die härtesten Soldaten müssen um Hilfe bitten

Gegen zwei Uhr morgens fiel der Tod lautlos aus dem Nachthimmel. Kaum hatten die zwei Dutzend Krieger den Boden berührt und ihre Fallschirme gelöst, trabten sie zwei Meilen bis zu ihrem Ziel - einem Piratenlager in Hiimo Gaabo, südlich der somalischen Stadt Galkayo. Neun schwer bewaffnete Kidnapper, umgeben von Sprengstoff, bewachten dort ihre beiden Geiseln - die 32-jährige amerikanische Flüchtlingshelferin Jessica Buchanan und ihren dänischen Kollegen Poul Hagen Thisted, 60. Präzise Schüsse fielen, und nach wenigen Minuten war alles vorbei. Die Schattenkrieger ließen die Leichen der neun Piraten liegen und verschwanden mit den befreiten Geiseln in der Nacht.

Die spektakuläre Aktion in der Nacht zum 25. Januar zur Befreiung der drei Monate zuvor in Galkayo verschleppten Helfer wurde im Wesentlichen von denselben Männern vollbracht, die am 2. Mai 2011 tief auf pakistanisches Gebiet eingedrungen waren und in Abbottabad Al-Qaida-Führer Osama Bin Laden zur Strecke gebracht hatten: dem legendären Team Six der amerikanischen Navy Seals.

Anfang dieses Monats erst hatte die US-Regierung von Präsident Barack Obama eine neue Militärstrategie verkündet, die sich künftig noch viel stärker als bisher auf geheime Einsätze der fast 40 000 Soldaten umfassenden Spezialeinheiten stützen wird.

Die Missionen der Navy Seals sind von Geheimnissen umgeben; selten dürfen Angehörige dieser Elitetruppe darüber berichten. Einer von ihnen hat es getan - Howard E. Wasdin, der zu den besten Scharfschützen des gesamten US-Militärs zählte, in den US-Kriegen im Irak und in Somalia kämpfte und mit einem Silver Star ausgezeichnet wurde. Seine Autobiografie unter dem Titel "Navy Seals Team Six" (riva Verlag) ist der wohl bislang enthüllendste und schonungsloseste Einblick in den Alltag und die Seele eines Elitekriegers.

Und diese Seelen sind zerbrechlicher, als man denkt. Wasdin hatte die gnadenlos harte Ausbildung zum Seal überstanden, hatte sich im Gefecht bewährt und viele Gegner getötet, hatte im Inferno der Schlacht um Mogadischu Anfang Oktober 1993 - die in dem Film "Black Hawk Down" verewigt wurde und bei der 18 Kameraden von Wasdin starben - selbst dann noch weitergekämpft, als er schon von drei Kugeln getroffen worden war. Um dann in einen Abgrund der Verzweiflung zu stürzen. Das Abendblatt konnte mit Howard E. Wasdin darüber sprechen. Der große, kraftvolle Mann, inzwischen 50 Jahre alt, Familienvater und Chiropraktiker, ist Manns genug, um seine Psyche zu entblößen. Wasdin, die ehemalige Killermaschine, ist keineswegs ein dumpfer Haudrauf, sondern ein Mann, der um die schweren Narben am Körper und auf der Seele genau weiß. Das Kämpfen und Töten liegt zwar hinter ihm - aber was ging in ihm vor, als seine Kameraden vom Seal Team Six Osama Bin Laden erschossen, dessen Terrororganisation al-Qaida zu seinen direkten Gegnern in Somalia zählte? Zunächst einmal reagiert spontan der Soldat und Patriot in ihm: "Ich fühlte enorme Erleichterung. Jedem Terroristen da draußen wird jetzt klargemacht: Ihr könnt vielleicht eine Schlacht gewinnen - aber wir gewinnen diesen Krieg. Und das nächste Klopfen an der Tür könnte der letzte Laut sein, den ihr jemals hört." Er betont: "Als ich in Somalia dreifach verwundet wurde, waren die Schützen von al-Qaida trainiert worden. Selbst noch mit 49 Jahren hätte ich sofort unterschrieben, um in dieses Gebäude in Pakistan mit eindringen zu können."

Ohne zu beschönigen, beschreibt Wasdin in seinem Buch, wie er mit seinen berühmten 900-Meter-Schüssen in Somalia Gegner tötete - mal ins Herz, mal mitten ins Gesicht. Wie er eine Gruppe von fünf Frauen mit einem Colt CAR-15-Sturmgewehr "niedermähte", hinter denen somalische Milizionäre Deckung gesucht hatten. Beim Lesen stockt der Atem; wie erwirbt man die Fähigkeit, Menschen so eiskalt zu töten? "Ich glaube, dass Krieger nicht gemacht werden, sondern dass sie geboren werden", meint Wasdin. "Du kommst mit dieser geistigen Einstellung schon auf die Welt. Klar, stimmt schon, die Männer von Seal Team Six töten routinemäßig - aber sie tun das schließlich für all jene, die sich nicht selber verteidigen können." Es ist Wasdin, der im Feuer der Schlachten gehärtete Krieger, der so argumentiert. Und er baut gar eine gedankliche Brücke, über die sicher nicht viele in Deutschland gehen würden: Es sei in seinem Leben überhaupt kein großer Schritt von einem Scharfschützen zu einem Heiler gewesen - die geistige Einstellung sei im Grunde doch dieselbe: "Man will nämlich anderen helfen." Vor diesem Hintergrund ist auch das Verhältnis zwischen seiner ausgeprägten Religiosität und dem früheren Krieger-Job vollkommen spannungsfrei. "Das Böse", so erklärt er, "ist nämlich auch die Gleichgültigkeit guter Männer im Angesicht des Bösen."

Er hat das ganze Grauen des Krieges gesehen, um ihn herum starben Feinde wie Freunde, er selber wurde schwer verwundet - hat er Albträume wie viele Veteranen, "Flashbacks", in denen diese schrecklichen Szenen wie Filmschleifen immer wiederkehren? "In dieser Hinsicht habe ich großes Glück - so was hatte ich nie", sagt Wasdin zunächst. Und dann, nach einer Pause: "Etwas anderes belastet mich aber sehr. Kennst du den Ausdruck ,Survivers Guilt'?" Gemeint ist das Überlebenden-Syndrom, an dem auch viele Holocaust-Überlebende bis heute leiden. Es geht um eine Frage, die bis zum Ende des Lebens in diesen Menschen brennt: Warum lebe ich, während so viele andere sterben mussten?

"Ich habe dort Freunde verloren, die vielleicht bessere Männer waren, als ich es bin", sagt Wasdin. "Im Buch habe ich Dan Bush erwähnt, der einer der besten Menschen war, die ich je in meinem Leben getroffen habe. Ich habe ihn an diesem Tag in Mogadischu sterben sehen - aber ich bin immer noch am Leben. Es muss doch ein Sinn darin liegen, dass ich verschont wurde."

Doch dann kommt eine entscheidende Bemerkung, mit der der frühere Elitesoldat seine Psyche in verletzlicher Weise offenlegt: "Eines ist ganz wichtig - dass es völlig in Ordnung ist, wenn man nach Hilfe ruft." Leicht wird dieses Eingeständnis dem Mann, der eine harte Ausbildung und eine noch härtere Jugend hatte, nicht gefallen sein. Doch er selber wusste am Ende keinen anderen Ausweg mehr, als um Hilfe zu rufen.

"Da gibt es Elitekrieger, die kommen mit diesen entsetzlichen Eindrücken und Schuldgefühlen nach Hause, und ihr Leben fällt einfach auseinander", sagt Wasdin. "Ich habe mir nach Somalia beinahe das Leben genommen, in meinen dunkelsten Stunden war ich ganz unten, total am Ende - schwer verwundet, meine Frau verließ mich, ich war arbeitslos -, und dann kommt das Überlebenden-Syndrom noch obendrauf. Ich habe meine Geschichte aufgeschrieben - und jetzt bekomme ich Tausende Briefe und E-Mails von Menschen, die mir sagen: Wenn das so ist, wenn es okay ist, dass selbst ein Mitglied von Seal Team Six meint, hol dir Hilfe, es ist kein Zeichen von Schwäche, dann bitten wir jetzt auch um Hilfe."

Dies sei einer der Hauptgründe für ihn gewesen, dieses Buch zu schreiben, sagt er. Und es war wohl auch ein Akt der Befreiung. "Ich habe selber jahrelang geglaubt, wenn ich Manns genug bin, wenn ich nur hart genug bin, dann komme ich ohne jede Hilfe klar. Doch es geht überhaupt nicht darum, wie hart jemand ist. Solches Grauen ereignet sich eben nicht in normalen Leben; darauf kann einen selbst das beste Training nicht wirklich vorbereiten."

Zu den entsetzlichsten Dingen, die Howard Wasdin gesehen hat, zählt aber nicht nur das Grauen der Schlacht mit all dem Blut, dem Sterben und dem Schreien - sondern ganz stilles Hungerelend. "Ein Kind zu sehen, das in einem Graben liegt und einfach dort verhungert", sagt Wasdin, die Stimme brüchig vor Emotionen. "Oder zu erleben, wie Kinder sterben, die man gerade noch zu füttern versucht. Die einfach so an Hunger und an Cholera wegsterben. Die Gesichter des Krieges sind abgrundhässlich. Man kann nicht von dort zurückkommen und glauben, damit einfach so fertigzuwerden. Ich habe mich damals mit einem Psychologen hingesetzt, und dann habe ich alles rausgelassen. Man muss sich den Dämonen in seiner Seele stellen, um sein Leben wieder aufnehmen zu können."

Wasdin nannte sich damals gern einen Adrenalin-Junkie. Ist er das immer noch, nach all dem, was er erlebt hat? "Na ja, ich fliege mein eigenes Flugzeug, ich tauche, fahre im Heißluftballon und ich fahre eine Harley-Davidson. Er lacht. "In Amerika Motorrad zu fahren bedeutet ja auch, sein Leben aufs Spiel zu setzen. Aber nein, ich bin kein Adrenalin-Junkie wie früher. Ich brauche das nicht mehr, ich habe das eingetauscht gegen den Wunsch, ein guter Ehemann, Vater und Heiler zu sein."

So ganz selbstverständlich ist das mit dem guten Vater nämlich nicht. Zu den eindringlichsten Schilderungen seines Buchs gehören die Erzählungen aus Wasdins Kindheit, in der sein Stiefvater ihn ständig mit einem Ledergürtel schlug. Hierin liegt ein Schlüssel für sein Leben als Krieger. Er schreibt, dies habe ihn für das Leben - gerade beim Militär - abgehärtet. Über die Schikanen und Strapazen beim Navy-Seals-Training mit haarsträubenden Kletterkursen, Fallschirmabsprüngen aus 8500 Meter Höhe oder endlosen Läufen mit Gepäck habe er damals nur gelacht. War es doch ein Kinderspiel gegen das, was er hinter sich hatte!

"Man muss fair gegenüber meinem Stiefvater sein - er hat mich auf die einzige Art erzogen, die er kannte. Sein Vater pflegte ihn hinunter zum Fluss zu bringen, um ihn entsetzlich zu schlagen - weil meine Großmutter die Schreie nicht ertragen konnte. Er war einfach Teil seiner Umgebung; das macht ihn noch nicht zu einem schlechten Menschen. Ich jedoch wollte den Kreislauf der Gewalt durchbrechen und mir klarmachen, dass es eine andere Art der Erziehung gibt außer brutaler Gewalt."

"Ich liebe diesen Mann noch immer, der mich aufgezogen hat", sagt Wasdin. "Er hat mich adoptiert und damit jene schlimme Zeit beendet, in der ich hungrig zu Bett gehen musste. Nachdem er meine Mutter geheiratet hatte, kam das nie mehr vor." Teil seiner Therapie, als er psychisch und körperlich verwundet aus Mogadischu zurückkam, war, diesem Mann zu verzeihen. "Und ich bin als Vater heute eher zu nachlässig gegenüber meinen Kindern Blake und Erin." Howard Wasdin räumt ein, dass die einzigen Passagen, die in seinem Buch gestrichen wurden, nicht etwa sicherheitsrelevante Schilderungen seiner Seals-Einsätze betrafen, sondern allzu drastische Erzählungen aus seiner brutalen Erziehung.

Wie fällt ein Rückblick des gebrochenen und wieder geheilten Elitekriegers auf sein Leben aus? "Ich würde nicht für eine Million Dollar meine Erfahrungen hergeben. Aber ich würde auch nicht einmal zehn Cent dafür geben, um sie noch einmal machen zu können. In meinen Träumen hätte ich so gern eine perfekte, liebevolle Kindheit gehabt. Und ich würde gern die Geburtstage meiner Kinder und andere glückliche Momente noch einmal erleben. Aber alles andere würde ich nicht noch einmal machen müssen."