Die Zustimmung der Bürger zum EU-Beitritt Kroatiens scheint sicher. Doch vor dem Referendum am Sonntag ist die Begeisterung geschwunden.

Osijek. Eisiger Wind streicht über den Ante-Starcevic-Platz im Zentrum von Osijek. Doch nicht nur wegen der ungemütlichen Temperaturen kann sich der fröstelnde Rentner für Kroatiens neuerlichen Urnengang nur eineinhalb Monate nach den Parlamentswahlen kaum erwärmen. "Ich gehe nicht wählen, was soll das", sagt der untersetzte Greis, der seinen Namen lieber nicht nennen mag. "Viel Propaganda" werde vor dem Referendum über den EU-Beitritt an diesem Sonntag ausgestrahlt: "Aber niemand weiß so richtig, was uns die EU eigentlich bringt." Die Kroaten hätten doch "schon immer" in Europa gelebt, sagt der Mann. "Was haben die in der EU denn miteinander gemeinsam? Da schaut jeder auf seine eigene Tasche - so wie überall."

Vor mehr als 20 Jahren verließen die Kroaten Jugoslawiens zerfallenden Staatenbund im Krieg. Zwei Jahrzehnte nach ihrer mühsam erfochtenen Unabhängigkeit strebt die 4,4-Millionen-Einwohner-Nation nun freiwillig in Europas kriselndes Wohlstandsbündnis. Laut jüngsten Umfragen fällt die Zustimmung zum Beitritt zwar leicht, doch haben die EU-Befürworter vor der Volksbefragung mit 56 Prozent noch immer die Oberhand. Egal ob in der Opposition oder Regierung: Alle große Parteien des Landes befürworten den Beitritt. Die Zustimmung werde letztlich deutlich sein, vermutet der Zagreber Analyst Davor Gjenaro: "Denn viele Gegner gehen ohnehin nicht wählen."

Eine schöne, unbeschwerte EU-Welt flimmert den Kroaten schon jetzt in die Wohnstuben. Unbedarft, aber angenehm überrascht macht sich Familienvater Branko samt seiner etwas einfältigen Frau und Kinderschar in den Werbe-Filmen für ein Ja zum Beitritt auf europäische Entdeckungsreise. Mal stöbert er in einem französischen Laden die zu Hause vergessene Flasche kroatischen Wein für den fernen Onkel auf. Mal lässt er sich in Prag von seinem Sohn staunend dessen Erasmus-Studium in ganz Europa erklären. Trotz der frohen TV-Botschaften scheint die einstige Begeisterung für die EU im Adria-Staat merklich gedämpft. "Wir lesen auch Zeitung - und wissen, was in Europa los ist", sagt ein schlaksiger Enddreißiger in Osijek: "Der Enthusiasmus ist weg. Denn die EU ist auch nicht mehr das, was sie einmal war."

"Ich liebe Kroatien, nein zur EU" lautete die Botschaft der Banner der rund 1000 Beitrittsgegner, die am vergangenen Wochenende demonstrierten. Die Kroaten hätten das Land "mit ihrem Blut" und mehr als 15 000 Todesopfern verteidigt, sagt ein verbitterter Veteran: "Und nun wollen uns unsere Eliten in die EU drängen und dem ausländischen Kapital überlassen." Er sei überzeugt, dass die Mitgliedschaft "gut für das Vaterland" sei, versichert dagegen in einer Fernsehbotschaft der weißhaarige Landesvater Ivo Josipovic. Die neue Mitte-links-Koalition treibt derweil vor allem die Sorge um, dass die EU-Befürworter das Rennen für schon gelaufen halten - und nicht wählen gehen. Wenn das Referendum zum Beitritt glücke, "haben wir Wind in den Segeln", umschreibt Kroatiens Chefdiplomatin Vesna Pusic die Ausgangslage: "Wenn nicht, stehen wir einer Menge Problemen gegenüber."

Weg vom Balkan und zurück nach Europa lautete die Losung in Zagreb schon bei der Staatsgründung 1991. Doch zunächst musste Kroatien ausgerechnet zwei Balkan-Habenichtsen den Vortritt lassen: Auch wegen der schlechten Erfahrungen bei den 2007 aufgenommenen EU-Neulingen Bulgarien und Rumänien hatte Brüssel die Beitrittsverhandlungen mit Kroatien so lang und hart geführt wie selten zuvor. Schon 1998 hatte der Adria-Staat ein Ministerium für Europäische Integration geschaffen. Doch erste Mitte 2004 wurde das Land offiziell zum Beitrittskandidaten erklärt. Der Auftakt der Verhandlungen verzögerte sich aber wegen des abgetauchten Kriegsgenerals Ante Gotovina: Mehrere EU-Mitglieder warfen Zagreb mangelnden Willen zur Zusammenarbeit mit dem Uno-Kriegsverbrecher-Tribunal in Den Haag vor. Erst im Oktober 2005 wurden die Verhandlungen mit Brüssel eröffnet.

Für Zagreb sollte der fast sechs Jahre währende Beitrittspoker zum langen Hindernisrennen werden. Nicht nur die Erweiterungsmüdigkeit in der Alt-EU ließ Brüssel immer wieder auf die Verhandlungsbreme treten. Nur zögerlich kam Zagreb den EU-Forderungen nach einer nachhaltigen Justizreform und den Abbau von wettbewerbsverzerrenden Subventionen für die heimischen Werften nach. Und Anfang 2009 sorgte der ex-jugoslawische Nachbar Slowenien für zusätzliche Verzögerungen: Wegen des ungeklärten Verlaufs der Seegrenze in der Bucht von Piran blockierte der einstige Bruderstaat monatelang die Verhandlungen. Kroatiens Beitritts-Marathon währte lang, aber dennoch geht manchen der Endspurt nun zu schnell: Trotz der langen Vorlaufzeit fühlen sich viele Kroaten über die EU schlecht informiert - und vom Beitritts-Referendum überrumpelt. "Warum muss nun alles so hopplahopp gehen?", fragt ein älterer Herr vor dem Ante-Starcevic-Denkmal in Osijek. Die Älteren seien eher gegen den Eintritt, die Jüngeren dafür, umschreibt der Student Kresimir die Stimmung in seinem Land. Richtig genutzt, könnten die EU-Fonds dazu beitragen, Kroatien zu modernisieren und zu entwickeln, begründet er, warum er beim Referendum für den Beitritt stimmen wolle.