Der Volkszorn richtet sich gegen den Sparkurs und die Amtsführung des Präsidenten. Geschäfte wurden geplündert, Autos angezündet.

Hamburg. Geplünderte Geschäfte, brennende Autos, Dutzende Verletzte - bei den schwersten Ausschreitungen in Rumänien seit zwei Jahrzehnten haben Randalierer "eine Spur der Verwüstung" durch die Hauptstadt Bukarest gezogen, wie Bürgermeister Sorin Oprescu gegenüber Medien sagte.

Landesweit gingen Tausende Menschen auf die Straßen, neben Bukarest waren vor allem die Städte Timisoara, Craiova, Cluj (Klausenburg), Deva, Hunedoara, Arad, Focsani, Satu Mare, Ploiesti, Tirgoviste, Brasov und Iasi betroffen. In Bukarest durchbrachen aufgebrachte Demonstranten eine Straßensperre der Polizei. Sie warfen mit brennenden Fackeln und Molotowcocktails um sich, verwüsteten Läden und rissen Steine aus dem Straßenpflaster. "Lügner, Mafiosi!", skandierten sie. Bei den Krawallen wurden rund 60 Menschen verletzt, darunter vier Polizisten. Etwa 30 Randalierer wurden abgeführt, 23 Menschen landeten in Krankenhäusern.

Die Proteste hatten am Donnerstag begonnen. Sie richten sich zum einen grundsätzlich gegen den als zunehmend autoritär empfundenen Regierungsstil von Staatspräsident Traian Basescu und die Korruption im Lande. Derzeit jedoch stehen die Sparmaßnahmen des Mitte-rechts-Kabinetts von Ministerpräsident Emil Boc in der Kritik. Mithilfe des harten Sparkurses, zu dem ein Einfrieren der Renten, eine Kürzung der Beamtenlöhne um 25 Prozent und eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um fünf Prozentpunkte gehören, will die Regierung in Bukarest Auflagen des Internationalen Währungsfonds (IWF) erfüllen. 2009 hatten IWF und EU Rumänien ein Notpaket von 20 Milliarden Euro zugebilligt, im vergangenen Jahr gab der IWF noch einmal einen Kredit über 3,5 Milliarden Euro.

Rentable Staatsbetriebe sollen nun privatisiert, unrentable einfach geschlossen werden. Das EU-Mitglied Rumänien leidet unter den Folgen der Finanzkrise, dennoch will Regierungschef Boc das Land bis 2015 fit zur Einführung des Euro machen. Bereits in diesem Jahr soll die Neuverschuldung unter die Maastricht-Grenze von drei Prozent gedrückt werden. Eine umstrittene Gesundheitsreform wurde angesichts des Volkszorns von Präsident Basescu gestoppt, doch das konnte die Demonstranten nicht besänftigen.

Die Reformpläne umfassten auch die Auflösung des landesweiten Rettungsdienstes zugunsten privater Firmen im freien Wettbewerb. Viele Rumänen haben Sorge, dass angesichts grassierender Korruption auch im Gesundheitswesen dann nur noch Rettungsdienste zu den Meistbietenden kommen würden. Auch sollte die wichtige Rolle der Hausärzte in Rumänien stark zurückgefahren werden.

Der populäre und tüchtige Unterstaatssekretär im Gesundheitsministerium, Rayed Arafat, ein in Syrien geborener palästinensischer Arzt mit rumänischem Pass, der den vorbildlich funktionierenden rumänischen Rettungsdienst Smurd aufgebaut hatte, war zum Rücktritt gezwungen und vom Präsidenten beschimpft worden. "Einer muss gehen", sagte Präsident Basescu. Nun wendet sich dieser Satz gegen ihn selbst. Arafats Entlassung wurde zum Auslöser der jüngsten Proteste. Binnen kurzer Zeit schlossen sich mehr als 100 000 Rumänen der Gruppe "Wer ist gegen die Zerstörung des Rettungsdienstes?" an. IWF und EU hatten Basescu ausdrücklich davor gewarnt, Smurd anzutasten. Ministerpräsident Boc hat indessen einen überarbeiteten Entwurf für die Reform angekündigt. "Die Lösung ist Dialog, nicht das Werfen von Steinen", betonte Boc. "Wir verstehen die schwere Lage, der viele Rumänen gegenüberstehen."

Die Sparpolitik trage zwar erste Früchte in den Konjunkturdaten Rumäniens, aber eine wirtschaftliche Wende für die Menschen komme nicht "von heute auf morgen". Unter den Demonstranten sind viele Studenten, aber auch auffallend viele alte Menschen. Sie können sich unter anderem teure Medikamente nicht mehr leisten.

Der seit 2004 amtierende Staatspräsident Basescu, ein gelernter Kapitän und früherer Bürgermeister von Bukarest, neigt nach Ansicht vieler Demonstranten zunehmend dazu, in autoritärer Weise in Fachressorts einzugreifen, von denen er offenbar wenig versteht. Im April 2007 war er vom Parlament in Bukarest vom Amt suspendiert worden, man warf ihm "Verfassungsverletzungen" und "willkürliche Anwendung der Gesetze" vor. Zudem fiel Basescu mit rassistischen und frauenfeindlichen Äußerungen auf. Ein Referendum zu seiner Absetzung scheiterte jedoch; der Präsident schaffte 2009 sogar knapp die Wiederwahl. Er will die Rolle des Präsidenten zulasten des Parlaments weiter stärken.