Jörg Asmussen wird nicht Chefvolkswirt bei der Europäischen Zentralbank

Berlin. Es ist eine faustdicke Überraschung: Nicht der Deutsche Jörg Asmussen, sondern der Belgier Peter Praet wird neuer Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB). Das teilte die EZB gestern nach einer Sitzung des Direktoriums in Frankfurt am Main mit. Damit verliert Deutschland mitten in der Euro-Schuldenkrise den einflussreichsten Posten in der EZB, den es seit Gründung der europäischen Notenbank innehatte. Die Personalie ist nicht die erste Überraschung unter dem seit November amtierenden EZB-Präsidenten Mario Draghi.

Der frühere Finanzstaatssekretär Jörg Asmussen war von der Bundesregierung vorgeschlagen worden und galt lange als Favorit für die Nachfolge von EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark. Dieser hatte vergangenen September im Streit um die Aufkäufe von Staatsanleihen überschuldeter Euro-Länder seinen Rückzug aus dem Notenbank-Direktorium angekündigt. Als Konkurrent galt allenfalls noch der Franzose Benoît Coeuré, der ebenso wie Asmussen neu im EZB-Direktorium ist.

Die Opposition wertete die Entscheidung gegen Asmussen als "peinliche personalpolitische Schlappe" für die Bundesregierung. "Der Versuch, das Amt des EZB-Chefvolkswirts als eine Art Erbhof zu betrachten", sei "gründlich gescheitert", sagte der finanzpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Gerhard Schick, der "Rheinischen Post".

In Berlin tröstet man sich damit, dass Ex-Finanzstaatssekretär Jörg Asmussen als "Außenminister" die EZB bei wichtigen internationalen Treffen vertreten wird. Zudem soll der 45 Jahre alte Ökonom und erfahrene Politmanager künftig die Rechtsabteilung leiten, die unter anderem wegen der Beurteilung der umstrittenen Staatsanleihenkäufe wichtig ist.

Damit habe er großen Einfluss auf das Krisenmanagement und die weitere Entwicklung der Euro-Zone, hieß es in Regierungskreisen. Es sei eine "gute, ausbalancierte Entscheidung". Jörg Asmussen selbst, ein gebürtiger Flensburger, zeigte sich mit der Personalentscheidung zufrieden. "Gemeinsam mit EZB-Präsident Draghi werde ich mich um das kurzfristige Krisenmanagement und die langfristige Ausgestaltung der Euro-Stabilitätsunion kümmern", sagte er der "Bild".

Asmussen, der 1996 im Bundesfinanzministerium als Referent für internationale Finanz- und Wirtschaftspolitik begann, war unter anderen einerder wichtigsten Mitarbeiter des SPD-Finanzministers Peer Steinbrück und bei ihm bis zum Staatssekretär aufgestiegen. Er hat in den vergangenen Jahren die deutsche Krisenpolitik maßgeblich gestaltet und war deshalb trotz SPD-Mitgliedschaft von CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble übernommen worden.

Auch der 62 Jahre alte Peter Praet ist ein Experte auf den Gebieten Finanzaufsicht und Finanzstabilität. Geldpolitisch gilt der frühere Direktor der belgischen Notenbank eher als jemand, der beim Thema Preisstabilität ein Auge zudrückt, um mit niedrigen Zinsen die Konjunktur anzukurbeln. Der deutschstämmige Belgier mit Wurzeln im nordrhein-westfälischen Herchen war im Juni 2011 ins EZB-Direktorium aufgerückt. Zuvor hatte er unter anderem beim Internationalen Währungsfonds und im belgischen Finanzministerium gearbeitet.