Streit mit Weißrussland um unbezahlte Rechnungen und höhere Energiepreise eskaliert

Hamburg/Moskau. Viele Freunde hat der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko nicht gerade: Der Iran zählt dazu, Venezuela, Nordkorea, Kuba. Eine illustre Ansammlung autoritär oder diktatorisch regierter und international weitgehend isolierter Länder also - eben wie Weißrussland auch. In Europa hat Lukaschenko fast gar keine Freunde - sieht man von Russland einmal ab. Und die ehemals sehr engen Beziehungen zu Moskau, die seit drei Jahren im Streit um Gaspreise belastet sind, drohen nun deswegen erheblichen Schaden zu nehmen.

Der russische Präsident Dmitri Medwedew hat den Gasmonopolisten Gazprom angewiesen, die Lieferungen an das Nachbarland wegen unbeglichener Rechnungen schrittweise einzustellen. Zunächst sollen es 15 Prozent sein, maximal könnte die Drosselung aber auf 85 Prozent verschärft werden, sagte Gazprom-Chef Alexej Miller nach einem Krisengespräch mit Präsident Medwedew im Kreml.

Regierungschef Wladimir Putin schloss ein Einlenken Moskaus aus. Russland könnte Weißrussland den Gashahn "noch viel stärker und viel schneller" als bisher abdrehen, warnte Putin. Der weißrussische Vize-Regierungschef Wladimir Semaschko sagte in Minsk, das Land wolle "grundsätzlich" seine Schulden bezahlen, brauche aber zwei Wochen, um das Geld aufzutreiben. Moskau erhebt Forderungen von 192 Millionen Dollar - umgerechnet etwa 155 Millionen Euro - für geliefertes, aber noch nicht bezahltes Gas. Miller sagte, Weißrussland erkenne seine Schulden zwar an, wolle diese aber nicht mit Geld, sondern mit Waren wie Maschinen und Ausrüstung begleichen. Medwedew besteht aber auf Bezahlung in "harter Währung". Kürzlich hatte der weißrussische Vize-Energieminister Eduard Towpinez behauptet, Moskau schulde Minsk seinerseits rund 200 Millionen Dollar - und zwar für den Transport des russischen Gases in den Westen. Eine Verrechnung dieser angeblichen gegenseitigen Schulden hat Russland aber abgelehnt. Das Drosseln der Lieferungen durch Russland sei "illegal und unbegründet", erklärte der weißrussische Versorger Beltrangas. Gazprom habe Medwedew über die tatsächlichen Verhältnisse getäuscht. Wie die russische Agentur Ria-Nowosti meldete, weigere sich Minsk, Moskaus Preisforderungen von 169 Dollar je 1000 Kubikmeter im ersten Quartal 2010 und 185 Dollar im zweiten Quartal zu erfüllen. Seit dem 1. Januar habe Weißrussland lediglich 150 Dollar pro 1000 Kubikmeter bezahlt - und sammle damit ein stattliches Schuldenkonto an.

Weißrussland ist ein wichtiges Energie-Transitland zwischen Mitteleuropa und Russland. 50 Prozent des russischen Erdöls fließen durch die "Druschba" ("Freundschafts"-)Pipeline über weißrussisches Territorium gen Westen, ebenso gut 20 Prozent des russischen Erdgases.

Unter anderem auch wegen der politischen Unwägbarkeiten seitens der weißrussischen Autokratie wurde 2005 der Bau der Ostseepipeline von Russland nach Deutschland beschlossen. Das Regime in Minsk hatte nach der russischen Ankündigung damit gedroht, die Leitungen nach Mitteleuropa anzuzapfen. Gazprom kündigte daraufhin an, gegebenenfalls werde man dann mehr Gas für den Westen über die ukrainische Pipeline pumpen. Die europäischen Kunden seien von dem Streit nicht betroffen, versicherte Gazprom-Chef Miller zunächst. Sein Unternehmen ist das mächtigste Russlands. Gazprom ist der weltgrößte Exporteur von Erdgas, kontrolliert 20 Prozent der weltweiten Erdgasreserven, verfügt über das größte Gas-Pipeline-Netz der Welt und beliefert 32 Staaten.

Auch die deutschen Gasimporteure E.on Ruhrgas und RWE teilten gestern mit, die Versorgung sei ungeachtet des Streits sicher. Außerdem seien die Gasspeicher gut gefüllt. Diese Speicher werden unter anderem mit Gas aus weißrussischen Leitungen aufgefüllt. Allerdings warnte Gazprom-Sprecher Sergej Kuprijanow später, "Beschränkungen" bei den Lieferungen in den Westen seien nicht auszuschließen. "Hoffentlich kommt es nicht dazu", sagte Kuprijanow. Deutschland bezieht 37 Prozent seines Erdgases aus Russland, rund 80 Prozent läuft über die Ukraine, der Rest über Weißrussland.

Gravierende Folgen könnte eine Eskalation auf jeden Fall für Kaliningrad haben. Das frühere Königsberg, eine russische Exklave, wird über weißrussisches Territorium mit Gas versorgt.

Russland ist wiederholt vorgeworfen worden, seine enormen Ressourcen als politische Waffe einzusetzen.

Ein ganz ähnlich gelagerter Streit mit der Ukraine hatte im Januar 2009 sogar zu erheblichen Lieferproblemen im Westen geführt - zwei Wochen lang floss kein Gas in die Ukraine; in Südosteuropa kam es zu Engpässen. Inzwischen jedoch ist eine Moskau-freundliche Regierung in Kiew am Ruder, und die Beziehungen haben sich verbessert.