Friedensversammlung in Afghanistan will Zukunftsperspektiven entwickeln
Kabul. Das große Zelt nahe der Universität von Kabul steht. Ab morgen sollen hier 1200 Afghanen über die Zukunft ihres Landes und einen möglichen Frieden mit den aufständischen Taliban beraten. Auf Einladung von Afghanistans Präsidenten Hamid Karsai sollen Repräsentanten verschiedener Stämme, Dörfer und Gemeinden diskutieren, wie der Krieg nach neun Jahren beendet werden kann und wie eine politische Neuordnung nach dem Abzug der Nato-Truppen vom Hindukusch aussehen könnte.
Zweimal war der angekündigte Friedensrat bereits verschoben worden: Erst war die Versammlung für Ende April, dann für Ende Mai angesetzt. Nun soll das Treffen zwischen dem 2. und 4. Juni in der Hauptstadt Afghanistans stattfinden.
Die Erwartungen an die Runde sind nicht besonders hoch. "Es geht darum, einen Konsens zu finden, wie man mit dem Aufstand umgeht", sagt die afghanische Politikwissenschaftlerin Mariam Safi. Eine Aussöhnung mit den Taliban bedürfe aber eines Dialogs mit den drei wichtigsten Fraktionen der radikalislamischen Kämpfer.
In der Tat sind die Taliban in zahlreiche Gruppen aufgespalten. Die drei einflussreichsten Verbände sind die sogenannte Quetta-Shura um Mullah Omar, das Haqqani-Netzwerk und die Gruppe um Gulbuddin Hekmatyar. Mullah Omar, der frühere Chef des Taliban-Schreckensregimes in Afghanistan in den 90er-Jahren, soll sich nach seiner Flucht aus Afghanistan 2001 im pakistanischen Quetta niedergelassen haben. Der einäugige Führer, der Al-Qaida-Chef Osama Bin Laden über Jahre beherbergte, ist einer der meistgesuchten Männer der Welt.
Jalaluddin Haqqani, Führer des Haqqani-Netzwerks, kämpfte wie Mullah Omar bereits in den 80er-Jahren gegen die sowjetischen Truppen in Afghanistan. Er operiert im Moment aus Waziristan, einem Teil des unwirtlichen Grenzgebiets zwischen Afghanistan und Pakistan. Haqqani, dem ebenfalls gute Verbindungen zu al-Qaida nachgesagt werden, soll das Selbstmordattentat als Kampfmethode in der Region salonfähig gemacht haben.
Die dritte Guerilla-Organisation um Afghanistans berüchtigten Kriegsfürst Gulbuddin Hekmatyar ist eher lose mit den Taliban verbunden. Von den drei wichtigsten Gruppen der Taliban-Aufständischen ist sie die kleinste mit dem wenigsten Einfluss. Hekmatyar verhandelt schon seit Längerem mit der afghanischen Regierung über einen Friedensplan. "Wir werden Vertreter von Hekmatyar auf der Dschirga sehen, aber sie werden die Einzigen sein", sagt Analystin Safi.
Karsai habe gehofft, alle drei Fraktionen zur Versammlung zu bringen. Das sei ihm nicht gelungen. Im Februar hatte der pakistanische Geheimdienst die Nummer zwei nach Mullah Omar, Mullah Baradar, gefangen genommen. Es wird vermutet, dass Pakistan damit Afghanistans Regierung einen Strich durch die Rechnung machen wollte. Mullah Baradar soll davor Gespräche mit der afghanischen Staatsspitze geführt haben. "Das war ein Rückschlag für Karsai", erklärt Safi. Damit seien die Erfolgsaussichten der Friedens-Dschirga gesunken. "Monate des Dialogs wurden unterbrochen."
"Es gibt nicht genug Leute zum Reden auf der Dschirga", sagt auch Wadir Safi, Rechtswissenschaftler an der Universität Kabul. "Die Taliban müssen teilnehmen, sonst funktioniert das nicht." Er erwarte daher wenig von der Versammlung. Die Versammlung sehe mehr aus wie eine "Show-Dschirga". Wenn man mit den Taliban über Frieden verhandeln wollte, müssten wichtige Führer des Aufstandes erst einmal von der internationalen Terrorfahndungsliste gestrichen werden. Auch Martine van Bijlert glaubt, dass der Friedensrat "weitgehend symbolisch" ist. "Es ist mehr eine Konferenz oder ein Workshop", erklärt die Politikberaterin, die in Kabul lebt.