Russland nutzt seine Energievorräte für Machtpolitik und sorgt damit für Tumulte in der Ukraine, während Europa Moskaus Initiative verschläft

Hamburg/Kiew. Auf einmal zündet jemand eine Rauchbombe. Mitten im Saal des ukrainischen Parlaments. Mitten in der Sitzung. Eier fliegen in Richtung Parlamentspräsident Wladimir Litwin. Sicherheitsbeamte schützen ihn mit Regenschirmen. Abgeordnete prügeln sich und schreien gegen das Geheul des Rauchalarms an. Das Absurdeste ist am Ende vielleicht der trockene Kommentar des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch: Er finde daran nichts Ungewöhnliches.

Und doch war der Protest der pro-westlichen Opposition ungewöhnlich heftig. Im Parlament und auch davor, auf den Straßen von Kiew, machten Regierungsgegner ihrem Unmut Luft. Der Grund: Das Parlament hat das Flottenabkommen zwischen der Ukraine und Russland verlängert. Der Pachtvertrag für den Stützpunkt der russischen Schwarzmeerflotte auf der Krim-Halbinsel gilt nun bis 2042. Auf den ersten Blick geht es dabei um eine militärisch unbedeutende russische Flotte. Museumshafen sagen manche. Doch es steht mehr auf dem Spiel. Für ukrainische Nationalisten manifestiert sich mit dem Abkommen die "russische Besatzung". Und diese spiegele sich nicht nur in den alten Kriegsschiffen in Sewastopol. Sie zeigt sich in der Abhängigkeit des Landes zum russischen Nachbarn - in der Sicherheitspolitik und vor allem in der Energiepolitik.

Die Ukraine erhält für die Pachtgebühren künftig einen Preisnachlass von 30 Prozent bei russischen Erdgaslieferungen. "Für die Ukraine ist das ein guter Handel", sagt Alexander Rahr, Russland-Experte von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Denn dem Land steht finanziell das Wasser bis zum Hals. Doch auch Russland freut sich. Kiew ist noch stärker an Moskau gebunden - und die Ukraine entschwindet zunehmend vom politischen Radar des Westens. Solange Russland die Flotte auf der Krim stationiert hat, wird die Ukraine nicht der Nato beitreten.

Der Handel mit der Ukraine ist nur eine Episode einer erfolgreichen russischen Außenpolitik, die in den vergangenen Tagen ihren Höhepunkt gefunden hat. Russlands Präsident Dmitri Medwedew und Premier Wladimir Putin touren derzeit von Staatsbesuch zu Staatsbesuch.

Am Montag traf sich Putin mit Italiens Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi und sicherte diesem russische Unterstützung bei Italiens Wiedereinführung der Kernenergie zu. Moskau könne auch nukleares Brennmaterial liefern. Präsident Medwedew reiste gestern nach Norwegen. Nach jahrzehntelangem Disput konnte sich Russland mit Norwegen auf eine Seegrenze in der Arktis einigen. Wo sich um Grenzen gestritten wird, geht es vor allem um die frei werdenden Meeresgebiete. Nach Einschätzung des Geologischen Dienstes der USA könnten sich in der Arktis 90 Milliarden Barrel Öl und 30 Prozent der weltweiten Erdgasreserven befinden. Am vergangenen Wochenende besuchte dann Putin wiederum Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann in Wien. Die beiden Länder unterzeichneten ein Abkommen über die Zusammenarbeit beim russischen Gas-Pipeline-Projekt South Stream. Es regelt den Bau der Leitung, über die Russland ab 2015 Gas nach Europa liefern will. Partner des Joint Ventures sind Gazprom - und der italienische Energieversorger Eni.

Während Deutschland und die Europäische Union über Rettungspläne für das bankrotte Griechenland grübeln, fährt Russland enorme Vorteile in der Energiepolitik ein. Auch in Europa. Alexander Rahr geht noch weiter: "Der Westen verschläft die neuen Initiativen der russischen Energiepolitik."

Vor allem das South-Stream-Projekt treibt Russland mit aller Kraft voran. Nicht ohne Grund: Es steht in harter Konkurrenz zum Nabucco-Pipeline-Projekt, mit dem die EU Gasquellen im Kaspischen Becken anzapfen will. Die geplante Leitung soll Europa sicher versorgen - vorbei an Russland und dem mächtigen Energiekonzern Gazprom, der auch mehrheitlich Anteile an der geplanten Ostseepipeline Nord Stream hält, die jährlich 55 Milliarden Kubikmeter Gas nach Europa liefern soll.

Fließt die Energie erst einmal erfolgreich durch die mehrere Tausend Kilometer langen Röhren, könnte das auch für die Ukraine gefährlich werden. "Das Land wird von Russland ausgetrocknet", sagt Alexander Rahr. "Nach dem Bau der Pipelines Nord Stream und South Stream wird die Ukraine ihren Status als wichtigstes Transitland für Gas verlieren."

Doch so weit ist es noch nicht. Auch Putin und Gazprom plagen Sorgen: South Stream gilt als technisch extrem aufwendig und teuer. "Moskau will nun schnell Erfolge melden, und damit auch die eigene Unsicherheit über die Entwicklung des Projekts kaschieren", sagt Jonas Grätz von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Denn auch Russland hat eine ernüchternde Bilanz im Nacken. 2009 ging der Gas-Export im Vergleich zu 2008 um elf Prozent zurück.