Verhängnisvolle Fehler haben die Amerikaner in die Defensive gebracht

Hamburg. Will man den Fanfaren der iranischen Regierung Glauben schenken, so trafen am Sonntag fünf völlig neu entwickelte Typen von Seeraketen gleichzeitig ein Ziel im Persischen Golf. Die letzte Phase des Großmanövers "Großer Prophet 5" ließ keinen Zweifel daran, welchem Ziel das maritime Training diente: der Abwehr einer amerikanischen See-Offensive.

Hartleibig hält der Iran am umstrittenen Ausbau seines Atomprogramms fest; und nur noch naive Zeitgenossen glauben den treuherzigen Beteuerungen der Mullahs, dass es rein zivilen Zwecken dient. Zweifellos hat der Iran im Sinn, langfristig die regionale Vormachtstellung der antiken persischen Großkönige zu restaurieren.

Staatschef Mahmud Ahmadinedschad und seine Führungsriege lassen sich auch durch dunkle israelische und amerikanische Drohungen wenig beirren. Doch woher stammt dieses Selbstbewusstsein? Um dies begreifen zu können, muss man in das Jahr 2003 zurückgehen, in dem die überwältigende amerikanische Feuerkraft kurzen Prozess machte mit den Divisionen des irakischen Tyrannen Saddam Hussein. Nach gewonnener Schlacht setzte die Regierung von George W. Bush einen erfahrenen Militär als Verwalter in Bagdad ein - US-Generalleutnant Jay Garner.

Dieser hatte vor, die politischen Strukturen des Irak weitgehend intakt zu lassen, binnen kurzer Frist Wahlen abzuhalten und das Erdöl unter Kontrolle der Iraker zu belassen.

Garners Plan stieß auf den Widerstand der Neokonservativen in der Bush-Administration, die eine Chance witterten, die irakischen Bodenschätze den USA untertänig zu machen.

General Garner wurde abgelöst durch den Karrierediplomaten Paul Bremer, über den ein hoher Beamter des US-Außenministeriums später sagte, er sei "ein gieriger Opportunist mit gierigen Ambitionen". Was Bremer über den Irak oder andere Teile der Welt wisse, "passt in einen Fingerhut".

Am 23. Mai 2003 fällte Bremer seine wohl folgenreichste Fehlentscheidung in der "Order Nr. 2", indem er die 400 000 Mann starke irakische Armee auflöste. Auch die seit Jahrzehnten den Irak bestimmende Regierungspartei Baath wurde verboten. Saddam Hussein und die Baathisten waren Sunniten - ihre Verdrängung von der Macht durch die Amerikaner begünstigte die irakischen Schiiten -, die traditionell enge Kontakte zur schiitischen Schutzmacht Iran unterhielten. Wo kurz zuvor noch ein starkes Regime die ganze Region in Furcht versetzt hatte, klaffte nun ein Machtvakuum, das die US-Armee mühsam füllte. Zehntausende frustrierte Soldaten und Baathisten liefen zu radikalen Militanten und ausländischen Al-Qaida-Dschihadisten über.

Die Bush-Regierung registrierte erfreut, dass der Iran zunächst bei der Zerschlagung des sunnitischen Saddam-Regimes kooperierte - und registrierte viel zu spät, dass sie einen katastrophalen Fehler begangen hatte. Der Iran vermochte nun ungehindert seine alten Brückenköpfe in der zu 60 Prozent schiitischen Bevölkerung des Irak zu verstärken - mit dem Ziel, den Nachbarn endlich kontrollieren zu können. Iraker und Iraner, also Araber und Perser, haben eine lange Geschichte der Rivalität. Saddam hatte zwischen 1980 und 1988 in einem entsetzlichen Krieg mit fast einer Million Toten vergeblich versucht, den Iran zu unterwerfen.

Die Amerikaner wandten sich nun auch gegen schiitische Ambitionen - mit dem Resultat eines De-facto-Bürgerkriegs jeder gegen jeden zwischen den US-Truppen, sunnitischen wie schiitischen Extremisten und al-Qaida.

Die relative gegenwärtige Ruhe wurde nur erzwungen durch eine gewaltige US-Truppenaufstockung. Das von US-General David Petraeus entwickelte Konzept sah zudem eine Neuaufstellung der irakischen Armee vor. Die selbsttragende Sicherheit soll den Abzug der US-Armee bis August ermöglichen. Nur noch 50 000 der 140 000 Soldaten sollen im Irak bleiben.

Das Petraeus-Konzept wurde inzwischen auch für Afghanistan übernommen - den zweiten Kriegsschauplatz der USA. Und dafür werden die US-Truppen aus dem Irak dringend gebraucht. Seit sieben Jahren führen die USA zwei Kriege gleichzeitig, ihre militärischen Kapazitäten sind überdehnt. Doch es gibt gar keine Garantie, dass irakische Armee und Regierung nach dem US-Abzug in der Lage sein werden, die Stabilität zu bewahren. Der private US-Geheimdienst Stratfor meinte, die Strategie des Abzugs beruhe auf einer Annahme: Nämlich dass der Iran die Schwäche des Irak nicht zu einem offenen Angriff nutzen werde. Das sei eben eine Annahme - aber keineswegs eine Gewissheit. Die USA stecken in einem Dilemma: Sie benötigen frische Truppen in Afghanistan, um dort eine Niederlage abzuwenden. Sie brauchen sie möglicherweise aber auch noch im Irak, um eine totale Dominanz des Iran über die gesamte Region zu verhindern. Das Verbleiben der Truppen im Irak könnte also ebenso verhängnisvoll sein wie ihr Abzug. Für einen Bodenkrieg gegen den Iran und damit einen dritten Kriegsschauplatz fehlen selbst Amerika die Kapazitäten. Das weiß man in Teheran.

Und im Fall von Luftangriffen gegen die iranischen Atomanlagen könnte Teheran über Terrormilizen wie Hisbollah oder Hamas jederzeit einen weiteren Konflikt im Nahen Osten auslösen, der israelische und amerikanische Kapazitäten bindet. Der strategische Fehler der Bush-Administration und ihres Prokonsuls Paul Bremer zwingt die USA in einen riskanten Spagat, um die von ihnen selber zerstörte Machtbalance im Mittleren Osten irgendwie zu stabilisieren. Stratfor gibt zudem zu bedenken, die Loyalität der ethnisch bunt zusammengesetzten irakischen Armee dem eigenen Staat gegenüber sei ebenso ungewiss wie die Antwort auf die Frage, ob die irakische Politik künftig noch mit US-Interessen kompatibel sein werde.