Amerikas Verteidigungsminister Gates bemängelt fehlende Iran-Strategie seiner Regierung. Militär stellt schwere Bunker-Knacker bereit.

Hamburg/Washington. Geheimdokumente heißen bekanntlich deswegen so, weil sie der Öffentlichkeit nicht zugänglich sind. Werden sie dennoch bekannt, darf man sich fragen, warum. So hatte US-Verteidigungsminister Robert Gates im Januar ein dreiseitiges brisantes Memo an den Nationalen Sicherheitsberater von US-Präsident Barack Obama, General James Jones, geschickt - und damit praktisch an Obama selber.

In diesem Geheimdokument warnte Gates, dass die Regierung keine Strategie für den Atomkonflikt mit dem Iran besitze, falls Diplomatie und Sanktionen scheiterten. Auch habe Washington keine Strategie für den Fall, dass der Iran heimlich sämtliche Komponenten für Atomwaffen zwar herstelle, aber noch nicht zusammensetze. Der Übergang von einer "virtuellen" Atommacht zur echten Einsatzfähigkeit sei dann kaum noch festzustellen, schrieb Gates. Im Klartext: Im einen Moment scheint der Iran noch den Forderungen der Staatengemeinschaft zum Verzicht auf Atomwaffen nachzukommen, doch im nächsten vermag er diese Waffen bereits einzusetzen.

Nachdem die "New York Times" das Memo am Sonntag veröffentlicht hatte, sah sich Gates gezwungen, dessen Existenz einzuräumen. Er bestritt aber Äußerungen eines hohen Regierungsbeamten, nach denen sein Schreiben als "Weckruf" für die Obama-Administration angesichts des iranischen Atomprogramms gedacht war. Das Informationsleck wird jedoch nicht im Weißen Haus, sondern im Pentagon vermutet. Womit darüber spekuliert werden kann, ob das Memo der NYT absichtlich zugespielt wurde, um der Weltöffentlichkeit - und dem Mullah-Regime in Teheran - vorzuführen, mit welcher Dringlichkeit das Thema Iran zu behandeln sei. Das Weiße Haus beeilte sich jedenfalls zu erklären, man habe sehr wohl eine Strategie und schließe keine Option aus.

In diesem Zusammenhang dürfte es auch kein Zufall sein, dass die Londoner "Times" gestern Berichte zitieren konnte, nach denen Hunderte von schweren Bunker-Knackern auf den US-Luftwaffenstützpunkt Diego Garcia im Indischen Ozean verlegt wurden. Unter diesen Waffen seien neueste, 15 Tonnen schwere Versionen des Typs "Massive Ordnance Penetrator" (MOP), die in der Lage seien, fast 70 Meter Stahlbeton zu durchschlagen, bevor sie detonieren.

Die Iraner haben ihre Atomanlagen im ganzen Land verteilt und in unterirdischen Bunkeranlagen eingerichtet.

Noch betont US-Generalstabschef Mike Mullen, zurzeit wäre ein Militärschlag die letzte Option. Doch in der Tatsache, dass der Admiral einen Militärschlag in öffentlichen Äußerungen überhaupt erwähnt, liegt eine unmissverständliche Drohung an die Adresse des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad. Es dürfte aber auch Indiz dafür sein, dass die US-Militärs und das Pentagon allmählich die Geduld mit dem Weißen Haus verlieren.

Ahmadinedschad hatte gerade in Teheran Raketeneinheiten paradieren lassen, deren Waffen israelische und amerikanische Ziele im gesamten Nahen Osten erreichen könnten. Der Präsident hatte die USA aufgefordert, ihre Truppen aus dem Irak, Afghanistan und der Golfregion abzuziehen. "Das ist keine Bitte. Das ist ein Befehl von den Nationen der Region", hatte Ahmadinedschad gesagt. Er hatte ferner im staatlichen iranischen Fernsehen getönt, der Iran sei militärisch inzwischen derart stark, dass "kein Feind dunkle Gedanken darüber hegt, seine Hände an das iranische Territorium zu legen".

Der Ton in der Auseinandersetzung wird schärfer. US-Medien zitierten einen russischen Diplomaten mit den Worten, die Iraner seien "völlig verrückt geworden". Gates erklärte, weder Freunde noch Feinde der USA sollten sich darüber im Unklaren sein, dass Amerika "bereit sei, entlang einer breiten Palette an Möglichkeiten zu handeln".

Der US-Sender CNN berichtete, das amerikanische Militär habe so genannte "Ziel-Ordner" entwickelt. In jedem dieser Ordner wird ein mögliches Ziel detailliert beschrieben - genauer Standort, wie tief verbunkert, die Zivilbevölkerung um das Ziel herum, die Bodenbeschaffenheit sowie verschiedene Optionen für amerikanische Waffensysteme, um das Ziel zu zerstören. Wie CNN weiter berichtete, habe ein Pentagon-Beamter vergangene Woche dem Streitkräfteausschuss des Senats geschrieben, das US-Militär verfeinere derzeit durch kluge Planung seine Optionen.

Der US-Geheimdienst Defense Intelligence Agency (DIA) beobachtete derweil, dass die Iraner eine separate Luftverteidigungsstreitmacht zum Schutz ihrer sensibler Atomanlagen geschaffen haben.