Warschau. Während unter den Politikern in Polen nach dem Schock der Flugzeugkatastrophe immer noch weitgehend Burgfrieden herrscht, wird in der Öffentlichkeit über die letzte Ruhestätte für den verunglückten polnischen Präsidenten Lech Kaczynski und seine Frau gestritten. Die Ankündigung, den Politiker in der Kathedrale auf der Wawel-Burg in Krakau beizusetzen, stößt auf Kritik. Die jahrhundertelange Residenz der polnischen Könige war bislang Monarchen, Dichterfürsten und Nationalhelden als Ort der letzten Ruhe vorbehalten. Allerdings ist bisher auch keiner der seit 1989 amtierenden Präsidenten verstorben; es gibt also keinen Präzedenzfall.

Vorgestern Abend hatte der Krakauer Erzbischof, Kardinal Stanislaw Dziwisz, der frühere Privatsekretär Papst Johannes Pauls II. und beliebteste Kirchenführer Polens, die Entscheidung bekannt gegeben. Er sagte, sie solle Versöhnung stiften. "Die Entscheidung, ihn auf dem Wawel zu begraben, ist vorschnell und emotional", hieß es gestern im Leitartikel der Tageszeitung "Gazeta Wyborcza". Es sei unangemessen, Kaczynski nach seinem Tod in eine Reihe mit Größen wie Jozef Pilsudski zu stellen, dem Architekten der polnischen Unabhängigkeit nach dem Ersten Weltkrieg. "Diese Entscheidung wird die Polen mit Sicherheit spalten", schrieb die Zeitung. Ein besserer Ort sei die Johanneskathedrale in Warschau.

Kardinal Dziwisz hatte gesagt, Kaczynski und seine Frau Maria würden in Absprache mit der Familie des Toten am Sonntag in der Krypta der Wawel-Kathedrale beigesetzt. Zur vorangehenden Trauerfeier am Sonnabend in Warschau werden zahlreiche Staats- und Regierungschefs erwartet, darunter die Präsidenten Obama, Medwedew und Köhler sowie Bundeskanzlerin Merkel. Die Kirche müsse diese Entscheidung zurücknehmen, forderte Oscar-Preisträger Andrzej Wajda. Das Vorhaben drohe, Polen mehr zu spalten als jeder andere Streit seit dem Ende des Kommunismus. Auf dem Internetportal Facebook schlossen sich bis gestern Nachmittag mehr als 26 000 Menschen einer Protestgruppe an, die sich "Nein zur Beisetzung Kaczynskis auf dem Wawel" nennt.

In Krakau demonstrierten rund 500 Menschen lautstark gegen die Begräbnispläne. Dagegen schrieb die Zeitung "Rzeczpospolita" in ihrem Leitartikel, es gebe trotz Protesten eine "recht verbreitete Zustimmung" zu einer Beerdigung auf dem Wawel.

Der seit 2005 als Präsident amtierende Kaczynski hatte zu Lebzeiten die Öffentlichkeit polarisiert, die in ihm wahlweise einen Patrioten oder einen Reaktionär sah. Seine Zustimmungswerte waren zuletzt auf rund 20 Prozent gesunken, für die regulär im Oktober fällige Präsidentenwahl wurde mit seiner Niederlage gerechnet.

Die Wahl wird nach Angaben eines Beraters von Ministerpräsident Donald Tusk wahrscheinlich auf den 20. Juni gelegt. Eine endgültige Entscheidung über den Termin wurde nach Beratungen von Übergangspräsident Bronislaw Komorowski mit den Parteien auf die kommende Woche verschoben. Komorowski hatte an die Oppositionsparteien die "herzliche Einladung" ausgesprochen, selbst einen Termin vorzuschlagen. Die Opposition, die konservative Partei des toten Präsidenten Kaczynski und die Linke mit Vize-Parlamentspräsident Szmajdzinski, hatten durch die Katastrophe jeweils ihren Präsidentschaftskandidaten verloren. Turnusgemäß war die Wahl im Oktober geplant. Nach dem Tod eines Präsidenten gibt es zwei Wochen Zeit, um einen neuen Termin festzulegen. Die Wahl muss dann innerhalb von 60 Tagen stattfinden.