Obama und Medwedew verringern Atom-Arsenale. Die Beziehungen sollen auf ein neues Niveau gehoben werden.

Moskau. Die "goldene Stadt Prag" ist der Ort, an dem heute der neue russisch-amerikanische Vertrag über die Reduzierung der strategischen Angriffswaffen von den Präsidenten beider Länder, Dmitri Medwedew und Barack Obama, unterzeichnet wird. Darin verpflichten sich Russland und die USA, die Zahl ihrer Atomsprengköpfe auf je 1550 und die der Trägersysteme auf je 800 zu reduzieren.

Der Vertrag ist für beide Präsidenten der erste konkrete außenpolitische Erfolg, nachdem Obama im vergangenen Jahr in Moskau zu einem "Reset", einem Neustart, in den lange unterkühlt gewesenen bilateralen Beziehungen aufgerufen hatte. Nach acht Jahren Bush-Administration gibt es damit jetzt erstmals wieder ein russisch-amerikanisches Abkommen im strategischen Bereich. Und unabhängig von den durchaus kontrovers diskutierten Inhalten des Vertrages sei damit wieder "eine andere Kultur" in das Verhältnis beider Staaten eingezogen, urteilten Diplomaten in Moskau. Hardliner wie der russische Generalstabschef Nikolai Makarow hatten sehr lange Kritik an den Verhandlungen und den Inhalten geübt. Schließlich sei Makarow dann aber doch "eingenordet" worden, hieß es in der russischen Hauptstadt.

Russische Politiker wie der einflussreiche stellvertretende Vorsitzende des Duma-Komitees für Sicherheitsfragen, Gennadi Gudkow, lobten in dem Zusammenhang die gerade verabschiedete neue US-Nukleardoktrin. Sie schaffe einen günstigen politischen Hintergrund für die Unterzeichnung des Vertrages. Die nukleare Konfrontation sei damit eine Sache der Vergangenheit, urteilte Gudkow. Es gebe objektiv keine Gründe, sie wieder aufleben zu lassen. Bestehende Streitpunkte würden nun durch Diskussionen entschieden, gab sich Gudkow hoffnungsvoll.

In einem vorab veröffentlichten Papier zur Vertragsunterzeichnung würdigte der Kreml, dass eine Vereinbarung "auf paritätischer Grundlage" erreicht worden sei, die die Atomschwelle senke, die Sicherheit Russlands und der USA festige sowie die Beziehungen berechenbarer mache. Mittels gegenseitiger Kompromisse sei eine Interessenbalance erreicht worden. Darin wird allerdings auch auf das hingewiesen, was Außenminister Sergej Lawrow noch einmal bekräftigte: "Wenn unsere Interessen verletzt werden sollten, steigen wir aus dem Vertrag wieder aus." Das betreffe vor allem den geplanten Aufbau eines amerikanischen Raketenabwehrsystems, betonte der Kreml und kündigte für Prag eine einseitige Erklärung zu dem Thema an. Diese Erklärung werde "ein selbstständiges politisches Dokument" sein, das den Vertrag begleite.

Moskau wollte den engen Zusammenhang zwischen Raketenabwehrsystemen und strategischen Angriffswaffen zu einem Punkt im Vertrag machen. Das gelang in der Form nicht. Er wird nun nur noch in der Präambel erwähnt, in der sich beide Seiten zugleich das Recht auf Vertragsausstieg vorbehalten. Die russischen Warnungen, man werde notfalls davon Gebrauch machen, werden von westlichen Diplomaten als eher "ideologisch-theologischer Natur" beurteilt. Praktische Auswirkungen werde das vorläufig nicht haben.

Tatsächlich würde Russland bei einem Vertragsausstieg deutlich mehr verlieren als die USA. Schon heute hat Moskau Probleme, die erlaubten Obergrenzen bei den Trägersystemen von 800 überhaupt zu erreichen. Die Herstellung moderner Raketen, die die veralteten Systeme ersetzen sollen, geht trotz aller vollmundigen Ankündigungen nur schleppend voran. Nach mehrfach fehlgeschlagenen Tests der Bulawa-Rakete liegen russische strategische Unterwasserkreuzer vorläufig sogar gänzlich ohne Bewaffnung am Pier.

Die USA dagegen hätten bei einer Aufkündigung des Vertrages freie Hand, die Zahl ihrer Träger zu erhöhen. Was für die Vereinigten Staaten im Gegensatz zu Russland ökonomisch und technisch machbar wäre. Der Vertrag bändigt vor allem das amerikanische strategische Potenzial. Die US-Überlegenheit in dem Bereich beseitigt er dagegen nicht, meinte der russische Militärexperte Alexander Golz. Auch könne man von einer 30-prozentigen Reduzierung der Arsenale nicht reden, da Tausende eingemotteter amerikanischer Sprengköpfe nicht gezählt würden.

Derlei Fragen dürften erneut eine Rolle spielen, wenn über die Ratifizierung des Vertrages debattiert wird. Russlands Außenminister Sergej Lawrow drängte auf Tempo. "Schon im April" könne das Vertragswerk der Duma und dem Kongress vorgelegt werden, behauptete er. Das mag auf die Duma zutreffen, wo der Kreml mit der absoluten Mehrheit von Geeintes Russland die Abläufe vorgibt. In Washington, wo Präsident Obama mehrere Stimmen der Republikaner braucht, damit der Vertrag ratifiziert werden kann, gestaltet sich das weit schwieriger. Die russische Vorstellung, die Ratifizierung könne "synchron" verlaufen, gehen an der Realität vorbei.