Washington. Als der iranische Atomwissenschaftler Schahram Amiri im vergangenen Juni während einer Pilgerfahrt nach Saudi-Arabien spurlos verschwand, gab es für die Regierung in Teheran und für alle Verschwörungstheoretiker in der arabischen Welt keinen Zweifel, wer der Schurke war: Die CIA hatte Amiri entführt; er war "einer von elf iranischen Gefangenen in den USA", wie sich damals der iranische Außenminister Manuschehr Mottaki empörte. Teheran erhob offiziellen Protest bei den Vereinten Nationen.

Jetzt scheint es, dass die Verschwörungstheoretiker diesmal zumindest zum Teil recht hatten: Schahram Amiri ist nach Informationen des Fernsehsenders ABC übergelaufen, lebt in den Vereinigten Staaten und arbeitet dem US-Geheimdienst bei der Auswertung von Daten über das geheime iranische Atomprogramm zu.

Laut ABC News war die Aktion "ein Geheimdienst-Coup", der von langerläuft zum Hand vorbereitet worden war. Wie hilfreich die Dienste Amiris am Ende für die USA sind, hängt davon ab, ob er nur irgendein "Physiker" Anfang dreißig an der Malek-Aschtar-Universität in Teheran ist, wie das iranische Regime behauptet. Oder ob er doch als Atomwissenschaftler an dem geheimen Waffenprogramm mitwirkte. Etwa am Bau einer versteckten Urananreicherungs-Anlage in Kum, von der US-Präsident im September 2009 zum ersten Mal sprach. Die Universität, an der Amiri lehrte, soll eng mit den Revolutionären Garden verbunden sein.

Amiri verschwand am 3. Juni 2009 aus seinem Hotel in Medina und kehrte nie zurück. Ob er "verschleppt" wurde, wie Teheran behauptete, oder untertauchte, um zu den Amerikanern überzulaufen, war Gegenstand von Spekulationen. Laut ABC war die CIA im Iran über einen Mittelsmann an Amiri herangetreten. Es heißt, der US-Geheimdienst bemühe sich seit Ende der Neunzigerjahre, Kontakte zu Wissenschaftlern und Beamten im Iran über in den USA lebende Verwandte herzustellen. Zumal im Großraum Los Angeles habe die CIA unter iranischstämmigen Amerikanern Hunderte von Gesprächen mit diesem Hintergrund geführt.

Zu dem Bericht von ABC vom Auftauchen Amiris in den USA wollte sich ein Sprecher des Geheimdienstes nicht äußern. In seinem jährlichen Bericht für den Kongress hatte die CIA sich vorsichtig ausgedrückt: "Iran hält sich die Option, Atomwaffen zu entwickeln, offen; aber wir wissen nicht, ob Teheran am Ende entscheiden wird, Atomwaffen herzustellen." Auch die Veröffentlichung der ABC-Story über Schahram Amiri soll offenbar den Druck auf die iranische Regierung erhöhen. Und US-Außenministerin Hillary Clinton hatte sich nach einem Treffen der G8-Außenminister in Kanada optimistisch zu einer sich herausbildenden Front gegen Teheran geäußert: "Wir nehmen eine wachsende Besorgnis in vielen Ländern zur Kenntnis, auch in China, über die Konsequenzen für die regionale und globale Stabilität, wenn der Iran in den Besitz von Atomwaffen käme."

Gewöhnlich beteiligen sich die Amerikaner nicht an Teherans Spekulationen über die Arbeit der CIA. Als am 12. Januar ein iranischer Atom-Wissenschaftler vor seinem Haus in Teheran durch eine ferngezündete Bombe an einem Motorrad getötet wurde, verdächtigten Regierungssprecher sogleich Israel, Amerika "und ihre geheuerten Agenten". Masud Ali Mohammadi (50) hatte Physik an der Universität von Teheran gelehrt.