Koalitionsverhandlungen könnten sich monatelang hinziehen. Militante drohen Instabilität auszunutzen.

Hamburg/Badad. Es ist prompt eingetreten, was Experten befürchtet hatten: Die Parlamentswahl im Irak hat keinen eindeutigen Sieger hervorgebracht, sondern zwei etwa gleich starke Rivalen, deren Kampf um die Macht nun monatelang das Land schwächen könnte.

Dem offiziellen Wahlergebnis nach hat der frühere Regierungschef Ijad Allawi mit seinem gemischten sunnitisch-schiitischen Wahlbündnis Irakija 91 der 325 Sitze im Parlament errungen - und damit einen äußerst knappen Sieg über den bisherigen Amtsinhaber Nuri al-Maliki, der mit einer "Rechtsstaats-Koalition" auf 89 Sitze kam. Die schiitische Irakische Nationalallianz erhielt 70 Sitze, eine kurdische Parteienallianz kam auf 43 Sitze.

Allawi nahm am Wochenende Glückwünsche entgegen und erläuterte bereits seine Pläne für die Koalitionsverhandlungen. Doch al-Maliki beansprucht die Regierungsbildung für sich und spricht von Wahlbetrug. Er rief den Obersten Gerichtshof mit einem Eilantrag an - aber die Richter erklärten sich weder für den einen noch für den anderen Kandidaten. Doch aus ihrer Stellungnahme zur Wahl geht hervor, dass nicht unbedingt jene Partei die Regierung bilden muss, die als stärkste Kraft aus dem Urnengang hervorgegangen ist. Allawi wehrt sich gegen diese Auslegung, die im Prinzip al-Maliki begünstigt, und argumentiert, die Regierung könne nur von der stärksten Partei gebildet werden - "selbst wenn sie nur ein halbes Mandat Vorsprung gewonnen hat". Al-Maliki will erreichen, dass die Wahlzettel in den Millionenstädten Bagdad und Mossul neu ausgezählt werden. Zudem erklärte er, einige der Kandidaten, die gesiegt hätten, müssten disqualifiziert werden, da sie ehemalige Mitglieder der Baath-Partei des gestürzten und hingerichteten Diktators Saddam Hussein gewesen oder in terroristische Aktivitäten verwickelt seien.

Allawi wiederum rief die Allianz von al-Maliki dazu auf, mit ihm über eine gemeinsame Koalition zu reden. Die Irakija-Liste sei offen für Gespräche mit allen Parteien. Der Irak sei nicht "der Besitz eines Einzelnen, sondern er gehört allen Volksgruppen und allen Irakern". Allawi sprach allerdings auch bereits mit dem Parteichef der Schiiten-Allianz, Amar al-Hakim, über eine mögliche Koalition. Benötigt werden 163 Parlamentssitze für eine Regierungsbildung.

Allawis Familie ist seit Generationen eine Kraft in der irakischen Politik. Bereits sein Großvater war in den 30er-Jahren an den Verhandlungen mit der britischen Kolonialmacht über eine Unabhängigkeit des Irak beteiligt.

Der gelernte Chirurg Allawi war früher Mitglied der Baath-Partei, überlebte einen Anschlag auf ihn schwer verletzt, den Saddam persönlich in Auftrag gegeben hatte, und schloss sich später der Opposition an. Er verbrachte mehrere Jahre im Exil.

Der Schiit Allawi ist laizistisch und säkular eingestellt, befürwortet also die Trennung von Staat und Religion - was ihm den Zorn von Islamisten einträgt. Er genießt auch bei vielen Sunniten Sympathie. Zu seiner Liste gehört unter anderem der sunnitische Vizepräsident Tariq al-Hashimi.

Ein Jahr nach dem amerikanischen Einmarsch im Irak 2003 war Allawi ein Jahr lang - bis April 2005 - irakischer Regierungschef. Seine harte Hand in der Umsetzung einer strikten Sicherheitspolitik trug ihm bei Kritikern den Beinamen "Saddam ohne Schnurrbart" ein. Auch steht Allawi unter Korruptionsverdacht.

Experten meinen, ein Machtkampf zwischen Allawi und al-Maliki könne sich bei fehlender Einigung zwei Monate lang hinziehen. Diese Phase der politischen Instabilität wäre eine offene Flanke, die sich Radikale und Militante zunutze machen könnten. Am Wochenende hielt die Serie der Gewaltakte jedenfalls an. Bei vier offenbar koordinierten Bombenanschlägen kamen sechs Menschen ums Leben, darunter auch ein Mitglied des Wahlbündnisses von Allawi. Weitere 15 Menschen wurden verletzt.