Der Bau der Siedlungen stört die strategische Planung der USA für die ganze Mittelost-Region, meint George Friedman, Chef des privaten amerikanischen Geheimdienstes Stratfor.

Hamburg/Washington. Wenige Stunden vor einem mit Spannung erwarteten Treffen mit US-Präsident Barack Obama in der Nacht in Washington hat Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu gestern noch einmal den umstrittenen Siedlungsbau in Ostjerusalem verteidigt.

Vor der pro-israelischen Lobbygruppe Aipac betonte Netanjahu: "Jerusalem ist keine Siedlung, es ist unsere Hauptstadt." Die Juden hätten in Jerusalem schon vor 3000 Jahren gebaut und würden das auch weiterhin tun.

US-Außenministerin Hillary Clinton verurteilte auf derselben Veranstaltung den Siedlungsbau in Ostjerusalem und im besetzten Westjordanland, der zu einer politischen Krise zwischen Washington und Jerusalem geführt hat. Der Bau der Siedlungen untergrabe das gegenseitige Vertrauen und gefährde die indirekten Friedensgespräche in Nahost, sagte Clinton.

Die israelische Bevölkerung stützt allerdings mehrheitlich den Siedlungsbau - die Siedler erhoffen sich Umfragen nach sogar einen Bauboom im Westjordanland mit einer Verdreifachung der Siedlerzahl auf rund eine Million. Nach Ansicht des amerikanischen Politologen und Buchautors George Friedman, Chef des privaten US-Geheimdienstes Stratfor, versucht Netanjahu, aggressiv die Grenzen der amerikanischen Toleranz in Sachen Siedlungsbau auszuloten.

Netanjahu zähle darauf, dass die USA Israel als strategisches Element in ihrem Bemühen um eine Machtbalance im Mittleren Osten benötigten. Barack Obamas Aufgabe wiederum sei es, dem israelischen Regierungschef deutlich zu machen, dass Washington Israel zwar brauche - aber nur im Kontext seiner strategischen Interessen in der Region. Und diese Interessenkonstruktion ist kompliziert und geht weit über die verbreitete Ansicht hinaus, die Nahost-Politik Amerikas werde von einer jüdischen Lobby in Washington bestimmt und sei unabdingbar pro-israelisch.

Nach einer Stratfor-Analyse werden auch die israelisch-amerikanischen Beziehungen vorwiegend durch kühle nationale Interessen bestimmt. Die Strategie der USA für die mittelöstliche Großregion zwischen dem Mittelmeer und dem Hindukusch sehe eigentlich eine Machtbalance einerseits zwischen dem Irak und dem Iran, dann zwischen Indien und Pakistan und schließlich zwischen Israel und der Arabischen Welt vor.

Allerdings hat der Irak-Feldzug der USA den Irak als Machtfaktor ausgehöhlt und damit den Aufstieg Irans zur regionalen Vormacht ermöglicht. Pakistan wiederum ist durch den Afghanistan-Krieg und das Taliban-/Terrorproblem teilweise unregierbar und instabil geworden - zum Vorteil der Großmacht Indien. Nachdem schon in diesen beiden Regionen das Gleichgewicht ausgehebelt worden ist, versuchen die USA nun verzweifelt, die Balance wenigstens im Nahen Osten aufrechtzuerhalten. Doch die offensive Politik der Atommacht Israel mit den neuen Siedlungen in den besetzten Palästinensergebieten und in Ostjerusalem beunruhigen und verärgern Amerika, das mit zwei Kriegen bereits überdehnt ist und einen weiteren Konfliktherd nicht gebrauchen kann.

In diesem Zusammenhang versucht Obama, die Israelis von einem Präventivangriff gegen die offenbar an der Bombe bauenden Iraner abzuhalten. Eine dadurch ausgelöste Krise würde die USA unweigerlich involvieren. Nach Ansicht von Friedman ist Israel allerdings dabei, von einem amerikanischen Verbündeten zu einem regionalen Hegemon zu werden - und sich damit außerhalb des Rahmens amerikanischer Interessen zu bewegen. So betrachtet schwäche die Errichtung neuer Siedlungen mit der Veränderung der Geografie und Demografie zulasten der Araber die politische Position Amerikas. Die USA seien derzeit nicht daran interessiert, dass Israel die Region zu seinen Vorteilen umzugestalten versuche. Während die Israelis darin eine Chance für sich witterten, sähen die USA das Risiko für die strategische Balance.

Bislang scheinen beide Seiten die Beilegung der Krise anzustreben. Der Stratfor-Chefdenker meint allerdings, falls Israel für die USA vom Verbündeten zum Teil des Problems würde, dann könnte sich Washington nach Alternativen umsehen. Mit der Türkei stehe eine andere Demokratie dafür zur Verfügung - und die Türken seien mehr als begierig, diese Rolle zu übernehmen und die amerikanisch-israelischen Spannungen auszunutzen.