16 Atomreaktoren sollen in Indien gebaut werden. Mit dem Geschäft sticht Moskau auch die USA aus.

Hamburg/Neu-Delhi. Der Handel zwischen Moskau und Neu-Delhi läuft prächtig. Als Russlands Ministerpräsident Wladimir Putin gestern seinen indischen Amtskollegen Manmohan Singh traf, wurde gescherzt und geflachst. Die Geschäfte sind besiegelt. Und wenn alles läuft wie geplant, wurden an einem Tag Verträge über zehn Milliarden US-Dollar abgeschlossen. Russland will in den kommenden Jahren 16 Atomreaktoren in Indien bauen. Nach Angaben des Chefs des staatlichen russischen Atomkonzerns Rosatom, Sergej Kirijenko, sollen sechs Reaktoren bis zum Jahr 2017 fertig werden.

Geht es nach Putin und Singh, ist Atomkraft eine der Säulen in der Beziehung zwischen Moskau und Neu-Delhi. Doch der Pakt holt weiter aus. Und damit das möglichst viele Inder wissen, hatte Putin zuvor in einem Internetchat mit indischen Geschäftsleuten erklärt, beide Länder wollten ihre wirtschaftlichen Beziehungen ausweiten. Ihr Handelsvolumen soll nach dem Willen der Regierungen in Moskau und Neu-Delhi von 7,5 Milliarden Dollar (5,5 Milliarden Euro) im vergangenen Jahr bis 2015 auf 20 Milliarden Dollar ansteigen.

Der Aufstieg der Schwellenländer Russland und Indien ist nicht neu. Die Kraft dieser Staaten, Brasilien und China eingeschlossen, zieht schon seit den vergangenen Jahren wie ein Magnet an der globalen Wirtschaft. Und sie verschiebt das Kräfteverhältnis auf der geopolitischen Landkarte von West nach Ost. "Der Atomhandel zeigt deutlich: Sollte der Westen Russland und Indien länger unterschätzen, könnte er eine historische politische Weichenstellung verpassen", sagt Alexander Rahr, Programmdirektor Euroasien bei der Deutschen Gesellschaft für auswärtige Politik, dem Abendblatt. Im Wettlauf um Milliardenaufträge aus Indien hat Russland erneut eine entscheidende Etappe gegen die USA gewinnen können. Denn auch Lobbyisten der amerikanischen Atomindustrie buhlen um die Gunst der Inder. Bereits 2009 aber konnte Moskau die USA mit einem Nuklearpakt mit Indien ausstechen. Im Süden Indiens baute Russland bereits zwei Atomkraftwerke.

"Da sich Russland durch die Wertedebatte aus Europa weggedrängt fühlt, sucht das Land neue Partner in Asien", sagt Rahr. Indien ist der Schlüssel zu diesem Markt. Das Land ist einer der traditionellen wirtschaftlichen Einflussgebiete Russlands. 70 Prozent der indischen Militärausrüstung komme aus Russland, sagt Rahr. Besiegelt ist nun auch, dass Indien von Russland weitere 29 Kampfflugzeuge vom Typ MiG-29K kauft. Die Auslieferung der Jagdflugzeuge soll 2012 beginnen. Geschäftsvolumen: 1,5 Milliarden US-Dollar.

"Doch die Zukunft der Geschäfte wird bestimmt von der Energiefrage", sagt Rahr. Indien braucht als aufstrebende Wirtschaftsnation vor allem eines: Planungssicherheit. Denn selbst verfügt das Land nur über geringe Uranvorkommen. 2009 gab es von Russlands Präsidenten Dmitri Medwedew die Zusage, dass Indien Brennstäbe in allen russischen Reaktoren selbst aufbereiten darf. Ein cleverer Schachzug für weitere Geschäftsvorteile gegenüber den USA. "Bei Russland bleibt die Angst, dass sich Indien in Zukunft stärker mit den USA verbündet", sagt Rahr. Doch was die Annäherung an die USA angeht, ist Indien vorsichtig. Genauso wie Russland befürworten die Politiker in Neu-Delhi eine multipolare Welt - und lehnen eine politische Dominanz der USA ab.

Die Amerikaner spüren dagegen, wie wichtig Indien in Zukunft als politischer Partner sein wird. In dem kürzlich veröffentlichten Vierjahresbericht des US-Verteidigungsministeriums spielt Indien eine neue zentrale Rolle. Da die Wirtschaftskraft und die kulturelle und politische Reichweite Indiens wachsen, werde das Land in globalen Angelegenheiten an Einfluss gewinnen, heißt es dort. Noch 2002 wurde Indien im 600 Seiten starken Bericht der Enquete-Kommission des Bundestags zur Globalisierung als Entwicklungsland bezeichnet. Ein Vergleich, der viel aussagt über Indiens neue Macht.