Hamburg. Zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit zeigt sich die Türkei verärgert über die Haltung des Westens in der Armenien-Frage. Nachdem vergangene Woche der Auswärtige Ausschuss des US-Repräsentantenhauses eine Resolution über die Anerkennung des Genozids an den Armeniern 1915/16 im Osmanischen Reich angenommen hatte, hat jetzt auch das schwedische Parlament die Verfolgung der Armenier als Völkermord gebrandmarkt. Mit einer Stimme Mehrheit setzte die rot-grüne Opposition ihren Antrag mithilfe von einigen Abgeordneten aus dem Regierungslager gegen den Willen der schwedischen Regierung durch.

Die Türkei reagierte erneut mit Empörung und zog sogleich ihre Botschafterin Tergün Korutürk aus Stockholm zurück. Am Freitag wurde der schwedische Botschafter Christer Asp ins Außenministerium in Ankara einbestellt. Dieser erklärte türkischen Medien zufolge, die Entscheidung des Reichstags sei für seine Regierung nicht bindend. Schwedens Außenminister Carl Bildt distanzierte sich von der Entscheidung des eigenen Parlaments und bestätigte: "Die Entscheidung des Reichstags beeinflusst nicht die Regierungspolitik. Unsere Regierung sitzt nicht zu Gericht über die Geschichte."

Die Türkei und Schweden hatten bislang gute Beziehungen, da die schwedische Regierung sich während ihrer Ratspräsidentschaft im vergangenen Jahr für die Aufnahme der Türkei in die EU starkgemacht hatte. Nun musste Außenminister Bildt bestätigen, dass der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan eine für kommende Woche geplante Schwedenreise aus Protest abgesagt hat. "Unser Volk und unsere Regierung weisen diese von Fehlern beschmutzte Entscheidung zurück", hieß es in einer Erklärung des türkischen Regierungschefs.

Türkische Politiker von Regierung und Opposition protestierten gegen die Entscheidung des schwedischen Parlaments. Eine kleine Nationalistenpartei rief zu einer Protestkundgebung vor dem schwedischen Konsulat in Istanbul auf.

Historiker schätzen, dass während des Ersten Weltkriegs im Osmanischen Reich bis zu 1,5 Millionen Armenier von Türken getötet wurden. Viele Forscher sprechen vom ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts. Die Türkei geht dagegen von höchstens einer halben Million Toten aus, die Opfer von Bürgerkrieg und Unruhen geworden seien. Außerdem hätten die christlichen Armenier an der Seite des Kriegsgegners Russland gestanden, heißt es zur Begründung.

Bislang haben nach Angaben des britischen Nachrichtensenders BBC mehr als 20 Staaten den Völkermord an den Armeniern anerkannt. Auch der deutsche Bundestag verabschiedete 2005 einen Armenien-Beschluss, vermied aber den Begriff "Völkermord".