Zur Strategie des Verteidigungsbündnisses macht sich Scheffer noch immer Gedanken - und äußert sie öffentlich. Er sei jetzt ein freier Mann.

Hamburg. Von 2004 bis 2009 stand Jaap de Hoop Scheffer an der Spitze der Nato. Die Geschäfte führt nun sein Nachfolger Anders Fogh Rasmussen. Zur Strategie des Verteidigungsbündnisses macht sich Scheffer aber noch immer Gedanken - und äußert sie öffentlich. "I am a free man, now", sagte er. Er sei jetzt ein freier Mann.

Abendblatt: Die von der Nato geführten Isaf-Truppen kämpfen in Afghanistan mit einer Großoffensive gegen die Taliban. Ist das die richtige Strategie?

Jaap de Hoop Scheffer: Ein militärischer Sieg gegen die Taliban ist eine Illusion. Die Lösung des Konflikts in Afghanistan gelingt nur durch vernetzte Sicherheit. Das heißt: Verteidigung, Entwicklung und Diplomatie.

Abendblatt: Dann ist eine Offensive die falsche Taktik? Immer wieder sterben ja auch Zivilisten bei Angriffen der Nato.

Scheffer: Waffengewalt ist leider notwendig. Man wird nie erreichen, dass es keine Toten bei einer Offensive gibt. Genauso wichtig wie Soldaten ist aber Geld für den zivilen Wiederaufbau des Landes.

Abendblatt: Wie wichtig ist Deutschland für Afghanistan?

Scheffer: Ich bin sehr froh, dass die Bundesregierung in Zukunft noch mehr Soldaten in die Krisenregion schicken wird. Enttäuscht bin ich von meinem Vaterland. Die Niederlande haben sich für einen Abzug der Truppen entschieden. Wir müssen endlich erkennen, dass auch Deutschland und die Niederlande ein geopolitisches Interesse am Hindukusch haben. Eine Niederlage in Afghanistan führt zu einer Radikalisierung der ganzen Region - einschließlich der Atommacht Pakistan. Das kann auch für Europa gefährlich werden.

Abendblatt: Was leistet die Bundeswehr am Hindukusch?

Scheffer: Die Bundeswehr genießt hohe Reputation, was den Aufbau Afghanistans angeht.

Abendblatt: Müssen deutsche Soldaten auch mehr kämpfen?

Scheffer: Militärischer Kampf macht den Weg frei für den Wiederaufbau. Das müssen wir endlich akzeptieren. Im Süden ist die Lage brisant. Da hält sich Deutschland heraus. Die Nato hat dort andere Verbündete gefunden. Aber die Bundeswehr ist auch im Norden in Kämpfe verwickelt. Auch dort ist es gefährlich. Vielleicht wird Deutschland in Zukunft aber auch im Süden kämpfen müssen. Das verlangt aber einen Beschluss des Bundestages.

Abendblatt: Das könnte die Bundesregierung den Wählern schwer beibringen.

Scheffer: Wir haben in der Vergangenheit zu viel über Wiederaufbau geredet.

Abendblatt: Und zu wenig über Krieg.

Scheffer: Vielleicht waren wir nicht ehrlich genug zu den Menschen, dass eine Stabilität in Afghanistan nicht ohne Kampfeinsatz zu erreichen ist. Das habe auch ich als Nato-Generalsekretär verpasst.

Abendblatt: Ist die Nato militärisch stark genug, um in Afghanistan erfolgreich zu sein?

Scheffer: Ja, die Nato ist stark genug. Es gibt aber große Lücken in dem Arsenal der Nato. Es ist sehr wichtig, dass Länder wie Deutschland in neue Technologien investieren. Die Nato muss permanent modernisieren. Dazu zählt beispielsweise das Transportflugzeug Airbus A400M.

Abendblatt: Muss sich die Nato nur militärisch modernisieren?

Scheffer: Die Nato und die Europäische Union müssen stärker aufeinander zugehen, wenn sie im 21. Jahrhundert nicht von den Großmächten USA, China und Japan an den politischen Rand gedrängt werden wollen. Europa hat seine Kompetenzen nicht nur in Klima- und Entwicklungsfragen. Die EU braucht eine stärkere politische Haltung zu den zentralen Konflikten wie Iran und Nahost. Genauso aber muss die Nato politischer werden.

Abendblatt: Zum Schluss noch mal ein anderes Krisengebiet. Am Sonntag ist Parlamentswahl im Irak. Was kann sie bewirken?

Scheffer: Bei der Wahl entscheidet sich, ob es der irakischen Elite endlich gelingt, die zerstrittenen Gruppen an einen Tisch zu bringen. Nicht nur Schiiten und Sunniten, sondern auch die Kurden. Nur ein gemeinsames Regieren gibt Hoffnung auf Stabilität.