Der 91-Jährige tritt nur noch selten auf. “Wenn er geht, wird das Land stillstehen“, sagen seine Anhänger.

Johannesburg. Das klinge jetzt so unspektakulär, sagt Ben Becker, der Möbelverkäufer. Aber er habe an jenem Sonntag, dem 11. Februar 1990, einfach vor dem Fernseher in Pretoria gesessen. Und geweint, "bis ich die Bilder nur noch verschwommen gesehen habe". Die Bilder jenes Mannes, von dem drei Jahrzehnte lang kein Foto in Südafrika veröffentlicht werden durfte: Nelson Mandela trat, leicht ergraut, in der Abenddämmerung auf den Balkon des Rathauses von Kapstadt. Die 27 Jahre Haft, nur Stunden zuvor beendet, hatten dem einstigen Schwergewichtsboxer die Pfunde unter dem schwarzen Anzug genommen. Aber nicht dieses beinahe magische Lächeln, von dem sich die Welt die Versöhnung der Nation erhoffte.

Das war er also, dachte Becker damals. Jener Mann, den die Apartheid-Regierung all die Jahre als Terrorist dargestellt hatte. Den er spätestens zur Militärzeit zu hassen lernen sollte. "Wer eingezogen wurde, durfte tagelang nicht schlafen. Danach haben sie immer wieder gesagt, dass dieser Mann die Nation bedroht. Das war Gehirnwäsche."

20 Jahre ist dieser 11. Februar 1990 her. Becker, jetzt 56 Jahre alt, wird heute wieder vor dem Fernseher sitzen. 20 000 Menschen werden allein vor dem Gefängnis von Paarl nahe Kapstadt erwartet, in dem Mandela die letzten seiner 27 Gefängnisjahre verbrachte. Die Luftwaffe plant eine Show, im ganzen Land finden Konzerte statt.

Mandela selbst, inzwischen oft auf einen Rollstuhl angewiesen und mit seinen 91 Jahren zunehmend geschwächt, hat bei der Eröffnung des Parlaments in Kapstadt einen seiner selten gewordenen öffentlichen Auftritte geplant. Zweifellos der Höhepunkt der Feierlichkeiten, deren Strahlkraft auch die Regierungspartei African National Congress (ANC) und Präsident Jacob Zuma nutzen. Der südafrikanische Präsident hat seine Rede zur Lage der Nation in den Abend verlegt. Das Volk soll live miterleben, wie er die Leistung seines Amtsvorgängers Mandela preist.

Im Jubiläumsjahr steckt das Land in einer komplizierten wirtschaftlichen Lage. Zwar ist Südafrika in den vergangenen 17 Jahren, seit der Wahl Mandelas zum Präsidenten 1994, wirtschaftlich enorm gewachsen, doch derzeit ist jeder Vierte arbeitslos, inoffizielle Erhebungen gehen sogar von 40 Prozent aus. Der Abstand zwischen Arm und Reich ist seit 1994 sogar größer geworden. "Der ANC hat es geschafft, eine moderne Wirtschaft aufzubauen", sagt Frans Cronje vom Südafrika-Institut für die Beziehungen ethnischer Gruppen. "Aber er hat versagt, die Lebensbedingungen zu verbessern."

Kenneth Dilata gehört zu jenen, für die sich seit dem 11. Februar 1990 wenig verändert hat. Der 43-Jährige steht vor der St.-Pauls-Kirche im Soweto-Township nahe Johannesburg. "Millionen sind in den Tagen von Mandelas Freilassung hierher gekommen, es war das Herz des ANC", erzählt der ehemalige Aktivist im Befreiungskampf. Doch auch 20 Jahre später schlägt Dilata sich noch immer mit Gelegenheitsjobs durch, wohnt in einem kleinen Zimmer ohne Wasseranschluss.

Schon zu Mandelas Amtszeit, zwischen 1994 und 1999, wurden viele Erwartungen an den ANC enttäuscht - das in der Verfassung zugesicherte Grundrecht auf fließendes Wasser und Strom wurde nicht erfüllt. Mandela sei auch zu nachlässig mit der Verbrechensbekämpfung umgegangen, sagt Dilata. Dennoch: Ein Südafrika ohne Mandela mag sich keiner vorstellen - erst recht nicht im Jahr der Fußball-WM, die in vier Monaten beginnen soll. Mit Mandela auf der Tribüne. Schon jetzt werden seine rar gewordenen Statements schmerzlich vermisst. Madiba, wie er genannt wird, ist das unverzichtbare Gewissen des Landes. Eines stehe fest, sagt Kenneth Dilata: "Wenn er geht, wird das Land stillstehen. Für eine lange Zeit."