Moskau. Es war sicher kein Zufall, dass Kremlchef Dmitri Medwedew Russlands neue Militärdoktrin mit atomaren Drohungen ausgerechnet zur Münchner Sicherheitskonferenz absegnete. Moskau will sich mit dieser Richtlinie, die Atomwaffen als mögliche Antwort auch auf konventionelle Angriffe vorsieht, in erster Linie international Gehör verschaffen. Immerhin lehnte der Westen zuletzt Medwedews Angebot einer gemeinsamen globalen Sicherheitsarchitektur dankend ab. Und auch die frischen US-Pläne, Teile einer Raketenabwehr nun in Rumänien zu stationieren, verstärken bei den Russen eher wieder die Drohreflexe - nicht zuletzt gegen die Nato. Eigentlich hätte das vom ehemaligen FSB-Geheimdienstchef Nikolai Patruschew federführend ausgearbeitete militärische Grundsatzpapier schon Ende 2009 unterzeichnet werden sollen. Allerdings hätte das die damals noch recht gute Stimmung um die atomaren Abrüstungsgespräche zwischen Russland und den USA getrübt. Nun aber sind diese Gespräche über ein Nachfolgeabkommen für den im Dezember 2009 abgelaufenen Start-I-Vertrag zur Reduzierung strategischer Offensivwaffen ins Stocken geraten. Ein Grund dafür ist Washingtons Streben nach einer Raketenabwehr - ohne Einbindung Russlands.

Russland hatte bereits gegen ähnliche Vorhaben in Polen und Tschechien jahrelang Front gemacht, bis US-Präsident Barack Obama im vergangenen Jahr davon Abstand nahm. Medwedew setzte die Doktrin nun per Dekret in Kraft, kurz nachdem Rumänien am Vortag die neuen US-Pläne bekannt gegeben hatte. Weil das EU-Land wie Russland Anrainer des Schwarzen Meeres ist, drohte Moskau zudem mit einer Aufrüstung seiner Kriegsmarine.

Spätestens seit dem Wochenende ist damit also wieder Unruhe im russisch-amerikanischen Verhältnis. Zwar betonte der russische Vize-Regierungschef Sergej Iwanow in München, die neue Militärdoktrin habe rein defensiven Charakter. Die Reaktionen außerhalb Russlands reichten aber von Befremden bis Schrecken. Das neue Ideologiepapier sieht auch die Nato-Osterweiterung bis vor die Grenzen Russlands als Hauptbedrohung. Dabei geht es vor allem um Pläne, die früheren Sowjetrepubliken Georgien und Ukraine in das Militärbündnis aufzunehmen. Militärisch konservative Kreise in Russland wollen dies verhindern. Gleichwohl betonte in München Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen noch einmal, dass Russland kein Feind, sondern ein Partner sei. Daher widerspreche die neue Doktrin allen Versuchen, die Beziehungen zu verbessern. Das gegenseitige Misstrauen sitzt tief. Pro-westliche Ex-Sowjetrepubliken wie die Ukraine und Georgien hatten Russland zuletzt zunehmende militärische Aggressivität vorgeworfen. So hatte Medwedew auch ein Gesetz auf Weg gebracht, das russische Militäreinsätze im Ausland deutlich vereinfacht. In der nun schon dritten Militärdoktrin seit dem Zerfall der Sowjetunion ist auch die Rede davon, dass Russland angesichts vieler regionaler und unberechenbarer Konflikte von einer verschärften militärischen Bedrohungslage ausgeht.

Die Russen sehen sich zunehmend von modernen Hightech-Waffen umzingelt - genannt werden Laser, Drohnen und Roboter. Wegen dieser Bedrohung werde das Land seine "nukleare Triade", also Atomwaffen für den Einsatz am Boden, im Meer und in der Luft, weiterentwickeln, sagte der Vize-Chef des russischen Sicherheitsrates, Juri Balujewski.

Der frühere Generalstabschef weiß, dass die Atom-Drohung nach außen mehr abschreckt als die aktuelle große Militärreform in Russland.