Moskau. Ein Aufruhr in Putins Reich, wie es ihn seit Langem nicht gegeben hat, ereignete sich am vergangenen Wochenende. Neben der nun schon üblichen allwöchentlichen kleinen Demonstration oppositioneller Kräfte in Moskau und St. Petersburg für die Einhaltung der Verfassung kam es in Kaliningrad, dem ehemaligen Königsberg, zu einem Massenprotest.

Rund 12 000 Menschen wehrten sich gegen die Erhöhung der Tarife für den öffentlichen Nahverkehr. Die Demonstranten wandten sich auch gegen die "antisoziale Politik der Regierung und von Geeintes Russland", wobei sie Premier Wladimir Putin verantwortlich machten.

Während die Sicherheitskräfte in Kaliningrad weitgehend nur Zuschauer blieben, nahmen sie in Moskau 100 der 300 Demonstranten zeitweilig fest, in St. Petersburg mehr als 40. Die Miliz und die Sondereinsatzgruppe Omon werden in diesen Zeiten, da sich die Proteste im Lande häufen, immer wichtiger für die Staatsmacht, die nur dieses Mittel der Auseinandersetzung mit ihren Wählern kennt.

Doch gerade jetzt haben sich erstmals die Angehörigen einer Eliteeinheit des Innenministeriums gegen ihre Vorgesetzten aufgelehnt. Die Kämpfer des in Moskau stationierten 2. Bataillons der Miliz-Abteilung für Sonderaufgaben, unrühmlich bekannt unter der Abkürzung Omon, wollen sich der Willkür ihres Chefs nicht mehr beugen und die Machenschaften ihrer Anführer nicht mehr unterstützen. Sie nahmen sich ein Beispiel an ihrem Miliz-Kollegen Alexej Dymowski, der im Internet Korruption und Willkür in seiner Dienststelle in Noworossijsk am Schwarzen Meer angeprangert hatte. Inzwischen hat das Miliz-Imperium im Stile einer mafiösen Vereinigung zurückgeschlagen, Dymowski sitzt nun seinerseits unter Korruptionsvorwürfen im Gefängnis.

Das schreckte die Aufrührer des Omon-Bataillons nicht. Sie beschwerten sich in einem Brief an Präsident Dmitri Medwedew, der auch an alle für Sicherheit und Strafverfolgung zuständigen Institutionen ging, über extreme Arbeitszeiten, einen Vorgesetzten, der sie als "Sklaven" beschimpfe und ausbeute und der ihnen im Falle der Nichterfüllung des "Plans" für Festnahmen die Gehaltszuschläge streiche. Das Ergebnis war Schweigen.

Jetzt gingen die Omonzy, die Angehörigen der Omon, an die Öffentlichkeit. Ihre Abteilung von 2000 Mann war ursprünglich geschaffen worden, um im Stadtgebiet besonders gefährliche Verbrecher zu fassen oder zu liquidieren. Jetzt seien sie unter anderem damit beschäftigt, Essen des Präsidenten mit ausländischen Staatsgästen zu sichern, beklagten sie sich in einem Gespräch mit der Moskauer Wochenzeitung "The New Times".

Im Stadtzentrum müssten sie an neuralgischen Punkten bereitstehen, um bei eventuellen Unregelmäßigkeiten sofort eingreifen zu können. Dabei müsse jeder Omon-Angehörige in jeder Schicht mindestens drei Festgenommene präsentieren, andernfalls würden Prämien und Zuschläge gestrichen. Da halte man sich eben an die Obdachlosen, die auf diese Weise bis zu zwölfmal in der Woche auf die Wache geschleppt würden.

Ihr Kommandeur, Oberst Jewtikow, so berichteten die Unterzeichner des Briefs der "New Times", habe aus seinem Amt eine lukrative Einnahmequelle gemacht. So könne man bei ihm das Diplom eines Sport-Technikums für 22 000 Rubel (rund 520 Euro) kaufen. Der Posten eines Kompanieführers sei für 5000 US-Dollar zu haben. Dafür erhöhe sich dann das Gehalt von 25 000 auf 100 000 Rubel.

Profit schlage der Kommandeur auch aus Sondereinsätzen für Privatleute. Unter anderem auch für einen in den Neunzigerjahren als Gangsterboss bekannten Georgier, der sich inzwischen als unbescholtener Geschäftsmann die Dienste von Omon leisten kann. Eine weitere Quelle für Zusatzeinnahmen sei die Prostitution, die an einigen lukrativen Orten in Moskau von Omon-Angehörigen kontrolliert wird. Präsident Medwedew, dem diese Missstände nicht unbekannt sind, hat eine grundlegende Reform des Innenministeriums angekündigt. Das gebietet über 400 000 Polizisten im ganzen Land, von denen nach Expertenmeinung ein Drittel nicht den Mindestanforderungen an einen Ordnungshüter entsprechen.