Hamburg. Kurz vor der internationalen Afghanistankonferenz in London sucht die Bundesregierung noch immer nach der richtigen Strategie im Kampf gegen die Taliban: Sollen die deutschen Truppen in Afghanistan aufgestockt werden? Und müssen sie, wie von den USA verlangt, mehr riskieren? Außenminister Guido Westerwelle (FDP) überraschte mit einem anderen Vorschlag. Er kündigte ein Aussteigerprogramm für Taliban an. "Es gibt viele Mitläufer der Taliban-Terroristen, die nicht aus fanatischer Überzeugung, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen auf einen falschen Weg geraten sind", sagte er der "Bild am Sonntag". Diesen und ihren Familien solle eine Perspektive geboten werden. "Dafür werden wir auch zusätzliches Geld in die Hand nehmen", so Westerwelle.

Geld dafür zur Verfügung zu stellen kann sich auch Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel (FDP) vorstellen. Es sei wichtig, "dass denjenigen Kämpfern, die bereit sind, der Gewalt abzuschwören und sich wieder auf den Boden der Verfassung zu stellen, eine Perspektive geboten wird", sagte er dem "Focus".

Der außenpolitische Sprecher der CDU, Philipp Mißfelder bewertet Westerwelles Vorstoß ebenfalls positiv. "Ich begrüße alles, was hilft, die Helfershelfer der Taliban von ihrem Weg abzubringen, sei es durch entwicklungspolitische oder wirtschaftliche Maßnahmen", sagte Mißfelder dem Hamburger Abendblatt. "Am Ende bleibt aber die Frage offen, ob es wirklich hilft oder nicht zu Mitnahmeeffekten führen könnte." Bevor man mit den Taliban zusammenarbeite, müssten sich diese von der al-Qaida lossagen und die afghanische Verfassung akzeptieren, verlangte darum der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Ruprecht Polenz (CDU).

Allein mit dem Aussteigerprogramm wird Westerwelle bei der Afghanistankonferenz kaum punkten können. Vor allem die USA hatten zuletzt den Druck auf Deutschland erhöht, mehr Truppen zu senden. Westerwelle drohte daraufhin mit einem Boykott der Konferenz, sollte es dort nur darum gehen. Den dadurch entstandenen Eindruck, dass er eine Aufstockung ablehnt, korrigierte er jetzt: "Ich habe nie gesagt, dass wir keinesfalls zusätzliche Soldaten zum Beispiel für die Ausbildung afghanischer Truppen schicken werden, aber ich gebe auch keine Blankozusagen."

Derzeit sind knapp 4300 deutsche Soldaten am Hindukusch. Laut Bundestagsmandat dürfen es 4500 sein. "Eine konkrete Zahl für eine mögliche Aufstockung" will Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) noch vor der Konferenz nennen. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hatte allerdings im Abendblatt bekräftigt, dass seine Partei im Bundestag keiner Aufstockung zustimmen werde. Davon unbeirrt will Guttenberg auf eine neue Strategie setzen. "Ein neuer Schwerpunkt ist es, dass man Präsenz in der Fläche zeigt: nicht um offensiv zu kämpfen, sondern um Ausbildung für die afghanische Armee und Polizei und Schutz für die afghanische Bevölkerung miteinander in Einklang zu bringen", sagte er der "Frankfurter Allgemeinen".

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kündigte an, dass Deutschland sich auf die Ausbildung der Sicherheitskräfte konzentrieren werde. Laut Innenminister Thomas de Maizière (CDU) werden zurzeit 80 000 ausgebildet. "Aus deutscher Sicht scheint eine Größenordnung von 110 000 Mann angemessen", sagte er dem "Focus". "Ich halte es für seriös, dass der Ausbau bis Ende 2012 zu schaffen ist."