US-Verteidigungsminister Gates glaubt nicht an eine Verständigung mit radikalem Taliban-Führer Mulah Omar.

Hamburg/Kabul. Nach den koordinierten Selbstmordangriffen von Taliban-Kämpfern im Regierungsviertel von Kabul will die afghanische Regierung den gesamten Sicherheitsplan für die Hauptstadt überprüfen. Das kündigte ein Sprecher von Präsident Hamid Karsai nach einer Sitzung des Krisenkabinetts an.

Zehn Tage vor der internationalen Afghanistan-Konferenz in London war es den Taliban am Montag gelungen, mit gestohlenen Panzerfahrzeugen in das streng gesicherte Herz von Kabul vorzustoßen. Bei der Kommandoaktion und den folgenden fünfstündigen Gefechten waren nach offiziellen Angaben mindestens zwölf Menschen ums Leben gekommen und 71 verletzt worden.

Karsai will Ende des Monats in London einen Friedensplan für Afghanistan vorstellen, der auch die Einbeziehung gemäßigter Taliban-Kräfte beinhalten soll. US-Verteidigungsminister Robert Gates sagte gestern dazu, er halte eine Versöhnung der afghanischen Regierung mit den Taliban für unwahrscheinlich. Zwar begrüße er, dass Karsai einen neuen "Versöhnungsplan" vorstellen wolle. Er wäre aber "sehr überrascht über eine Aussöhnung mit dem afghanischen Taliban-Führer Mullah Omar", sagte Gates. Die Chancen für eine Versöhnung in Afghanistan stünden generell schlecht, solange die Taliban die Veränderungen im Lande nicht bemerkten und nicht erkennen würden, dass sie verlieren.

Der Kommandeur des britischen Heeres, General David Richards, lobte die Reaktion der afghanischen Streitkräfte auf den Taliban-Angriff in Kabul. "Auf einer höheren Ebene und auch auf der taktischen Ebene sind sie gut damit umgegangen", lobte Richards in London. "Sie sind nicht zusammengebrochen; sie haben sehr professionell reagiert." Die Strategie der Nato ist es, die afghanische Armee in die Lage zu versetzen, selber für Sicherheit im Land zu sorgen und Taliban-Angriffe abzuwehren. Insgesamt sollen rund 600 000 Mann an Soldaten und Polizisten dafür ausgebildet werden. Noch steht erst ein Bruchteil davon bereit, die Erfolge der Nato in der Ausbildung werden oft zunichte gemacht durch Desertationen: Die Taliban zahlen gut ausgebildeten Kräften weit mehr als die Armee. Die Aufständischen finanzieren sich über den Drogenhandel und über Zuwendungen aus islamischen Staaten. 93 Prozent des weltweit produzierten Opiums kommen aus Afghanistan. Hunderte Millionen Dollar wandern jährlich in die Kriegskasse der Taliban. "Die direkte Beteiligung der Taliban am Opiumhandel erlaubt es ihnen, ihre Kriegsmaschinerie zu finanzieren", hat der Direktor der Uno-Agentur für Drogen und Kriminalität (UNODC), Antonio Maria Costa, gewarnt. Und diese Maschinerie werde "technologisch immer komplexer und umfassender".

Nach den Taliban-Anschlägen hat der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok ein Überdenken der Strategie am Hindukusch gefordert. Der militärische Konflikt sei "nicht zu gewinnen", sagte Brok der in Hannover erscheinenden "Neuen Presse". Die Taliban beherrschten "fast 80 Prozent des Landes", und der Nato-Truppe sei es nicht möglich, "militärische Sicherheit herzustellen".

Die katholische Friedensbewegung Pax Christi erklärte den Militäreinsatz der Nato in Afghanistan für "gescheitert". Pax Christi rief die Bundesregierung zu einem Kurswechsel auf. Ihr Präsident, der Fuldaer Bischof Heinz Josef Algermissen, sagte, die Kombination aus zivilem Wiederaufbau und militärischem Stabilisierungseinsatz habe "nicht wie gehofft solide staatliche Strukturen und eine starke Zivilgesellschaft geschaffen, sondern die Zerrissenheit der afghanischen Gesellschaft und die Gewalt im Land stetig vergrößert".

Die SPD will in den kommenden Wochen ihre Parteibasis zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr befragen und das Ergebnis bis Ende Februar an den Vorstand übermitteln, wie Parteichef Sigmar Gabriel gestern nach einer Klausur der SPD-Spitze in Berlin sagte.