Hamburg/Port-au-Prince. Angesichts der verheerenden Erdbebenkatastrophe in Haiti wollen die Europäer dem bitterarmen und verwüsteten Land mit über 400 Millionen Euro beistehen. 330 Millionen Euro will die Europäische Union an Sofort- und langfristiger Hilfe zur Verfügung stellen, weitere 92 Millionen Euro fließen von den einzelnen EU-Mitgliedern. Bei einem Sondertreffen zur Lage in Haiti schlugen die EU-Mitgliedstaaten zudem vor, bei einer internationalen Konferenz die Hilfe für den Wiederaufbau des Karibikstaates abzustimmen.

In Haiti schlägt die Verzweiflung währenddessen immer häufiger in Plünderungen und Gewalt um. Zudem stocken die Hilfslieferungen: Der Flughafen von Port-au-Prince ist heillos überlastet. Die Lage dort ist chaotisch: Flugzeuge voller Hilfsgüter wurden abgewiesen, Hunderte Flüchtlinge warten auf ihre Evakuierung und tonnenweise lagern Lebensmittel, die keiner verteilt. Es wächst die Kritik an den US-Truppen, die auf Bitte der haitianischen Regierung die Kontrolle über den kleinen und beschädigten Flugplatz Toussaint L'Ouverture übernommen hatten.

"Sie fliegen nur die Amerikaner aus und nicht die anderen", sagte ein Franzose. "Das amerikanische Monopol muss aufhören; sie lassen uns nicht nach Hause." Diplomaten warfen den USA vor, die einzige Landebahn des Flughafens für die Ausreise von US-Bürgern zu beanspruchen - und dadurch Hilfsmaßnahmen zu blockieren. Der französische Staatssekretär für Zusammenarbeit sagte, er habe bei der US-Botschaft offiziell Protest eingelegt, nachdem ein französisches Flugzeug mit einem Feldlazarett an Bord abgewiesen worden war. Das Flugzeug durfte schließlich doch noch landen. Auch die Evakuierung von 200 Franzosen wurde am Ende gestattet. Kritik kommt auch von der haitianischen Regierung. "Es gibt große Koordinierungsprobleme am Flughafen", sagte Regierungsvertreter Michel Chancy. "Die Haitianer werden über die Ankunft von Flugzeugen nicht unterrichtet. Wenn sie dann landen, dann übernimmt niemand die Ware." Flüge mit medizinischer Ausrüstung und Nahrungsmitteln aus Argentinien, Mexiko und Peru wurden nach Angaben von Vertretern der USA und der Uno in die Dominikanische Republik umgeleitet. Der US-Botschafter in Haiti, Kenneth Merten, räumte Schwierigkeiten ein. Dafür seien vor allem Kommunikationsprobleme verantwortlich, sagte er.

Nach wie vor herrschen große Versorgungsengpässe. Es kommt zu Plünderungen und Gewalt. Die Polizei setzte in der Nähe des Präsidentenpalastes Tränengas gegen Plünderer ein. Im Stadtteil Delmas sammelte sich eine Menschenmenge an den Leichen von zwei mutmaßlichen Plünderern, die von aufgebrachten Einwohnern erschlagen worden waren. Vermummte junge Männer zogen mit Macheten durch die Stadtviertel. Die Behörden warnten davor, dass sich die Gewalt weiter ausbreiten könnte. Der Polizist Pierre Roger sagte, es gebe die Anordnung, nur im Notfall auf Menschen zu schießen. "Wir sind zu wenig und diese Leute sind zu verzweifelt." Der Arzt Karmi Bar-Tal sagte: "Da draußen tobt ein Krieg." Die Regierung Haitis hat inzwischen den Notstand ausgerufen.

Rettungskräfte fanden weitere Überlebende. Aus den Trümmern eines eingestürzten Hotels bargen Helfer ein 16 Jahre altes Mädchen. Nach Angaben der Polizei wurden fünf weitere Menschen geborgen. Gemäß Mitteilungen der Vereinten Nationen haben mehr als 1700 Rettungskräfte bislang über 70 Menschen lebend aus den Trümmern befreit. Allerdings sank die Überlebenschance der Verschütteten Stunde um Stunde. Zahlreiche Menschen - unter ihnen 13 Deutsche - werden seit dem Beben am vergangenen Dienstag vermisst. Schätzungen gehen von bis zu 200 000 Todesopfern aus.

Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon bat die Opfer des Jahrhundertbebens, die verzweifelt auf Hilfe warten, um Geduld. Die Versorgungslage werde sich langsam weiter verbessern, sagte er bei einem Besuch in Port-au-Prince.