Millionenstadt Port-au-Prince fiel in Trümmer. Jedes zweite Haus ist eingestürzt. Viele Opfer liegen noch unter den Schutthaufen.

Port-au-Prince. Verzweifelte Menschen laufen weinend durch die Trümmerberge. Andere versuchen mit bloßen Händen, Opfer aus den Schuttmassen zu scharren. Schwerverletzte, Sterbende und Tote liegen nebeneinander am Straßenrand. Kaum einer kann sich um sie kümmern. Fast alle Kliniken sind eingestürzt.

Haiti am Tag nach dem schwersten Erdbeben seit mehr als 200 Jahren: Der Inselstaat in der Karibik, der zu den ärmsten Ländern der Welt zählt, erlebt Szenen wie aus der Apokalypse. "Wir müssen mit mehr als 100 000 Toten rechnen", sagte am Abend Ministerpräsident Jean-Max Bellerive dem US-Sender CNN.

Zuvor hatte bereits Präsident René Préval einen dramatischen Hilfsappell an die Welt gerichtet. Auch sein Palast in der Hauptstadt Port-au-Prince war unter der Wucht der Erdstöße (7,0 Richterskala) eingestürzt. Er habe über Leichen steigen müssen und die Schreie von Menschen gehört, die unter Trümmern begraben seien, sagte Preval der Zeitung "Miami Herald": "Das Parlament ist eingestürzt. Die Steuerbehörde ist eingestürzt. Schulen sind eingestürzt. Es gibt eine Menge von Schulen mit einer Menge von Toten in ihnen. Eine Katastrophe."

Das Erdbeben hatte die Hauptstadt Haitis während der nachmittäglichen Rushhour erschüttert: Um 16.53 Uhr Ortszeit (22.53 Uhr MEZ) gab es eine Minute lang so starke Erdstöße, dass nach ersten Schätzungen etwa 40 bis 50 Prozent aller Häuser in der Drei-Millionen-Metropole in sich zusammenfielen. Auch das Hauptquartier der Uno-Friedensmission hielt dem Beben nicht stand. Alle Uno-Mitarbeiter, die sich dort aufhielten, starben. An der Kathedrale der Stadt gab es ebenfalls starke Schäden. Der katholische Erzbischof von Port-au-Prince, Joseph Serge Miot, wurde von herabfallenden Mauerteilen getötet.

"Das ist das Ende der Welt", sagte eine unter Schock stehende junge Frau, die von einem Hügel aus ansehen musste, wie die Metropole binnen Sekunden in Trümmer fiel. Der Fotograf Ivanoh Demers berichtete über Satellitentelefon: "Die Mauern sind überall zusammengestürzt. Ich bin um mein Leben gelaufen. Menschen schrien: ,Jesus! Jesus!' Es war völlig irreal. Ich lief aus meinen Hotelzimmer, und direkt neben mir brach die Mauer zusammen."

Papst Benedikt XVI. rief die Völkergemeinschaft eindringlich zu Hilfe auf. "Ich appelliere an die Großzügigkeit aller, unseren Brüdern und Schwestern in diesem Moment des Schmerzes und der Not unsere Solidarität und die konkrete und mögliche Unterstützung nicht zu verwehren."

Zahlreiche Staaten und Organisationen kündigten umgehend Nothilfe an. Deutschland sagte 1,5 Millionen Euro zu, die EU gewährte drei Millionen Euro. Bundespräsident Horst Köhler sagte, er sei "zutiefst bestürzt". "Deutschland wird Haiti zur Seite stehen", versicherte er Botschafter Jean Robert Saget.