Volle drei Stunden stellte sich EU-Außenministerin Catherine Ashton den Fragen der Abgeordneten.

Brüssel. Sie sind mächtig, mächtiger als jemals zuvor, aber sie leiden trotzdem. Die 736 EU-Abgeordneten fühlen sich zu wenig beachtet. Bei Festveranstaltungen im Wahlkreis, so klagen sie, müssten sie in der dritten Reihe sitzen. Es gibt eben nur wenige Höhepunkte im Leben eines EU-Parlamentariers. Die Anhörungen der 26 Kandidaten für die EU-Kommission zu Beginn einer Legislaturperiode gehören allerdings dazu. Zehn Tage lang dürfen die Abgeordneten die Kandidaten auf den Prüfstand stellen und können ihnen Versprechen abringen. "Ich freue mich tierisch. Was ich bei den Anhörungen nicht an Zusicherungen erhalte, kriege ich vielleicht nie mehr. Da kann ich dann fünf Jahre hinterherlaufen", sagt die EU-Abgeordnete Inge Gräßle (CDU).

Gleich als erste Kommissarsanwärterin musste Catherine Ashton, die künftige EU-Außenministerin, in den Ring. Drei volle Stunden hatten die 75 Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses Zeit, die Britin durch alle Problem- und Konfliktherde der Welt zu jagen und sie nach ihrer jeweiligen Politik zu befragen: von Russland und der Ukraine über Nahost und Iran bis nach Kuba und Somalia. Es ging um Entwicklungshilfe, Klimafragen und die Kooperation mit der Nato.

Ashton gab sich britisch: nahm jedes Mal die Lesebrille mit einem freundlichen Lächeln ab, um dem jeweiligen Parlamentarier Antwort zu geben - und am Ende so gut wie nichts gesagt zu haben. Nur einmal versteinerte sich die Miene der 53-Jährigen: Ein Abgeordneter der britischen Konservativen fragte sie erneut nach ihrer Vergangenheit in der radikalen Abrüstungsbewegung CND. "Es ist die große Freude meines Lebens, dass wir heute in 27 EU-Staaten so offen reden können. Ich wollte immer ein freies Europa", gab Ashton mit wahrnehmbar lauterer Stimme zurück. Sie sei in den frühen 80er-Jahren noch jung gewesen, die Mittel seien nicht immer die richtigen gewesen. Aber dass das Ziel der Abschaffung von Atomwaffen richtig sei, daran glaube sie noch immer. "Das Europäische Parlament will mehr für Sie als Sie für sich selbst. Dabei müssten Sie besonders ehrgeizig sein", attackierte der Deutsche Alexander Graf Lambsdorff (FDP). "Ich habe viel Ehrgeiz, aber ich muss auch realistisch bleiben, was möglich ist", konterte Ashton kühl.

Eine Sternstunde des Parlamentarismus war diese Anhörung nicht. Dabei hat das EU-Parlament mit dem neuen Vertrag in der Außenpolitik viel Macht gewonnen. Aber statt neuen Selbstbewusstseins lieferten die Abgeordneten dröge Kost. Kaum kritische Fragen. Viele Floskeln statt Antworten. Eine Pflichtübung, mehr nicht. Bei der Anhörung des designierten EU-Haushaltskommissars Janusz Lewandowski wurde wenigstens einmal gelacht. "Was ich nicht mag, sind politische Bekenntnisse, die finanziell schlecht ausgestattet sind", sagte der Pole. Zudem brachte er eine neue EU-Steuer auf den Ausstoß von Kohlendioxid ins Spiel. Da spitzten die Abgeordneten die Ohren. Dann kam allerdings die Routine zurück.

Aber hatten die Strippenzieher in Brüssel das nicht genau so geplant? Ein Kandidat, der sich durch harte Fragen provozieren lässt und damit die Anerkennung der gesamten Kommission gefährdet wie der Italiener Rocco Buttiglione vor fünf Jahren - das soll nicht noch einmal passieren.

Und so hatten sich die wichtigsten Fraktionschefs im EU-Parlament - Joseph Daul (Christdemokraten), Martin Schulz (Sozialisten) und Guy Verhofstadt (Liberale) - schon im Vorfeld darauf geeinigt, die Kandidaten mit angezogener Handbremse zu prüfen. "Tust du mir nichts, tue ich dir nichts", heißt das Motto.

Über die Reihenfolge der Anhörungen wurde lange gerangelt. Es gibt Wackelkandidaten, allen voran die bulgarische Konservative Rumjana Schelewa, deren Ehemann angeblich Kontakte zur Mafia haben soll. Aber die Christdemokraten haben vorgesorgt: Sie platzierten Cecilia Malmström, eine Liberale aus Schweden, die EU-Innenkommissarin werden soll. Sollte Schelewa bei ihrer Anhörung heute scheitern, weil einige Liberale sie - entgegen der Absprachen - doch unter Druck setzen, wird auch Malmström in einer Woche fallen. So will es der Proporz.