Warschau. Die deutsche Debatte über das Vertreibungsgedenken und über Erika Steinbach wird von der polnischen Öffentlichkeit, anders als früher, eher zurückhaltend beobachtet. In den Medien ist das Thema nach hinten gerückt. Auch das Magazin "Wprost" (Direkt), dessen Titelbild mit Steinbach in SS-Uniform vor Jahren die Diskussion vergiftet hatte, ist kaum noch zu hören. Der populistische Kurs hat ihm auf Dauer nichts gebracht: Soeben wurde "Wprost" verkauft und soll zudem hoch verschuldet sein.

Vergessen ist das Thema Steinbach jedoch keineswegs. Was in der deutschen Seele heute vorgeht, gibt manchen Polen Rätsel auf. Etwa der Literaturprofessorin Inga Iwasiow (46), deren bemerkenswertes Romandebüt des vorigen Jahres Kriegs- und Nachkriegsschicksale in ihrer Heimatstadt Stettin (Szczecin) behandelt. Iwasiow fasst zusammen: "Wir sind verwirrt. Einerseits beruhigen uns deutsche Politiker seit Jahren, Frau Steinbach spiele in der deutschen Politik keine Rolle. Aber zugleich wird sie auf höchster Ebene hofiert. Wie passt das zusammen?" Auch in der Sache des deutschen Umgangs mit der Geschichte herrsche Verunsicherung: "Einerseits glauben wir, dass Deutschland sich mustergültig mit seiner Geschichte auseinandergesetzt hat. Aber dann erleben wir immer wieder krasse Beispiele für einen Mangel an Sensibilität."

Die Debatte um die Person der Vertriebenenpräsidentin hatte in Polen an Schärfe gewonnen, als Recherchen einer polnischen Zeitung ergaben, dass Steinbach als Tochter eines deutschen Besatzungssoldaten während des Krieges in der Nähe von Danzig zur Welt gekommen war. Dagegen traten umstrittene Äußerungen Steinbachs, wie man in Polen die Einhaltung von Menschenrechten erzwingen könne oder was von der polnischen Westgrenze zu halten sei, in den Hintergrund. "Gegen den Bund der Vertriebenen habe ich nichts einzuwenden", sagt der Breslauer Historiker Krzysztof Ruchniewicz. "Aber Steinbach löst Emotionen aus, weil sie nicht als echte Vertriebene gesehen wird wie einst (ihr Vorgänger) Herbert Czaja oder Herbert Hupka. Andererseits ist sie von den organisierten Vertriebenen demokratisch gewählt. Wir haben also ein Problem."

Führende Politiker in Polen wollten sich kaum zur Steinbach-Debatte äußern. Staatssekretär Wladyslaw Bartoszewski, der die Front gegen Frau Steinbach maßgeblich aufgebaut hatte, zeigt sich von ihren neuen Forderungen zur Gestaltung der Vertreibungsstiftung nicht begeistert. Ein junger Abgeordneter der konservativen Kaczynski-Partei PiS, Jan Oldakowski, wurde deutlicher. Oldakowski, zugleich Gründungsdirektor des Museums für den Warschauer Aufstand, kritisierte Steinbachs neue Ideen, die auf eine Erweiterung des Einflusses des Vertriebenenverbands abzielen. Der Zeitung "Polska" sagte er, dann sei es wohl besser, "dass Steinbach jetzt in den Stiftungsrat einzieht, als dass der Bund der Vertriebenen in Deutschland zu einem der wichtigsten Geschichtserzähler wird".