Demonstranten rufen “Tod dem Diktator“. Einsatzkräfte eröffnen Feuer auf Oppositionelle. Bis zu acht Tote.

Berlin. Im Iran ist es gestern bei Demonstrationen gegen den erzkonservativen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad zu blutigen Auseinandersetzungen mit der Polizei gekommen. Sie markierten einen neuen Höhepunkt der immer wieder aufbrechenden Proteste gegen die umstrittene Präsidentschaftswahl im Juni, bei der sich Ahmadinedschad mit Manipulationen eine zweite Amtszeit gesichert haben soll.

Augenzeugen berichteten, dass fünf Menschen getötet und weitere verletzt wurden. Am Abend war in französischen Quellen sogar von acht Toten die Rede. Unter den Opfern ist auch ein Neffe von Oppositionsführer Mir Hussein Mussawi. Der 20-jährige Ali Mussawi sei am Mittag bei Zusammenstößen mit Sicherheitskräften verletzt worden und später seinen Wunden im Krankenhaus erlegen, erklärte ein Berater des Oppositionspolitikers.

Der Polizeichef von Teheran hatte die Darstellung zurückgewiesen und behauptet, es seien überhaupt keine Schüsse gefallen. "Niemand wurde getötet. Die Polizei hat das Feuer nicht eröffnet, und die Beamten haben auch gar keine Waffen getragen", zitierte ihn die studentische Nachrichtenagentur Isna. Oppositionelle verteilten daraufhin Fotos, auf denen Leichname und Schwerverletzte zu sehen waren. Am Abend bestätigte schließlich auch das staatliche Fernsehen, dass es Opfer gegeben hat. Ein hochrangiger Polizeibeamter sprach von fünf Toten und sagte der iranischen Nachrichtenagentur Irna, dass etwa 300 Demonstranten festgenommen wurden.

Zuvor hatten in Teheran Zehntausende Menschen ihren Ruf "Tod dem Diktator" gegen Ahmadinedschad gerichtet und die Staatsmacht herausgefordert. Autofahrer unterstützten die Aktionen mit Hupkonzerten. Die iranische Führung versuchte am Vormittag zunächst, die Protestler auseinanderzutreiben. An zahlreichen neuralgischen Punkten der Hauptstadt waren deshalb Einheiten der Sicherheitskräfte aufmarschiert.

Auf der Engelab-Straße sollen die Einsatzkräfte zunächst Warnschüsse in die Luft abgegeben haben. Danach, so berichtete die dem Reformlager nahestehende Internetseite Rah-e-Sabs, sei man mit Tränengas und Schlagstöcken gegen die Menschenmenge vorgegangen. Schließlich sei direkt auf Demonstranten geschossen worden. Aufgebrachte Gegner Ahmadinedschads warfen nach Augenzeugenberichten immer wieder Steine auf die Einsatzkräfte, auch unter den Polizisten gab es viele Verletzte, Dutzende von Motorrädern, wie sie die regierungstreuen Bassidsch-Milizen benutzen, wurden in Brand gesetzt. Über dem Zentrum von Teheran stiegen schwarze Rauchwolken auf. Die Lage war stundenlang völlig unübersichtlich, zumal es ausländischen Journalisten verwehrt wurde, über die Kundgebung zu berichten: Wie in der Vergangenheit auch wurde das Mobilfunknetz abgeschaltet, Internetleitungen waren auf eine minimale Bandbreite gedrosselt.

Auch in den Städten Isfahan, Nadschafabad, Schiras und Babol habe es gewalttätige Auseinandersetzungen gegeben, berichtete Rah-e-Sabs. Unter Bezug auf das islamische Aschura-Fest skandierten die Demonstranten in Teheran: "Es ist der Monat des Bluts, die Bassidsch werden fallen!" Die Opposition machte sich das Aschura-Fest zunutze - da aus diesem Anlass ohnehin zahlreiche Menschen in den Straßen sind, werden Polizeieinsätze gegen Demonstranten erschwert.

Auf dem Höhepunkt der Proteste des vergangenen Sommers war in Teheran die Studentin Neda Agha-Soltan erschossen worden. Die Londoner "Times" kürte die 26-Jährige nun zur "Person des Jahres". Sie sei zum "weltweiten Symbol des Widerstands gegen die Tyrannei" geworden, hieß es in der Sonnabendausgabe der Zeitung. Im Internet kursierende Bilder der sterbenden jungen Frau hätten "die letzten Reste von Legitimität des Regimes" zerstört und den Widerstand der Opposition weiter angefacht.