Die Regierung will neun Jahre nach dem Sturz desPräsidentenSlobodan Milosevic einen Neuanfang.

Brüssel/Stockholm. Europa steht vor einer neuen Erweiterungsrunde. Nach dem Beitritt von insgesamt zwölf Staaten in den Jahren 2004 und 2007 werden in den kommenden Jahren die Länder des Westbalkans mit rund 25 Millionen Einwohnern beitreten. Die EU hatte den Westbalkan-Staaten 2003 in Thessaloniki einen Beitritt versprochen. Jetzt pochen sie immer lauter auf eine Einhaltung der Zusagen. Gestern beantragte Serbien offiziell die Aufnahme in die Europäische Union.

Der serbische Präsident Boris Tadic übergab den Antrag in Stockholm dem schwedischen Ministerpräsidenten und amtierenden EU-Vorsitzenden Fredrik Reinfeldt. Tadic sprach von einem "Wendepunkt", dem eine Periode "tiefer, manchmal schmerzhafter Reformen" in Serbien folgen werde. Schwedens Außenminister Carl Bildt sagte, es gebe "eine neue Bewegung im gesamten westlichen Balkan". Das Aufnahmegesuch erfolgt neun Jahre nach dem Sturz des serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic, der sich wegen Kriegsverbrechen vor dem Uno-Tribunal in Den Haag verantworten musste.

Hohe EU-Kreise erwarten, dass Serbien Anfang 2014 der Union beitreten wird. Ein langer und hürdenreicher Beitrittsprozess wie im Fall der Türkei gilt im Falle Serbiens als ausgeschlossen. Dafür ist das Land für die Stabilität des Balkans, der direkt vor der Haustür der EU liegt, aus Sicht der Europäer zu wichtig. Auf der anderen Seite haben viele EU-Staaten, wie beispielsweise die Niederlande oder Belgien, erhebliche Bedenken gegen den Aufnahmeantrag Serbiens zu diesem Zeitpunkt. Auch der Serbien-Berichterstatter des EU-Parlaments, Jelko Kacin, warnte, der Beitrittsantrag dürfe nicht zu früh kommen. Die Kritiker des serbischen Beitritts machen vor allem geltend, dass die serbischen Sicherheitskräfte die beiden mutmaßlichen Kriegsverbrecher, den früheren Militärchef der bosnischen Serben Ratko Mladic und den ehemaligen Führer der kroatischen Serben, Goran Hadzic, noch immer nicht gefasst hätten. Zudem ist das sogenannte Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA), das eigentlich zwingend ist für Beitrittsverhandlungen, noch immer nicht vollständig ratifiziert.

Trotz der Vorbehalte vieler EU-Regierungen drücken neben dem EU-Vorsitz Schweden vor allem Spanien, das in den kommenden sechs Monaten die Union führen wird, und Italien aufs Tempo. Es waren vor allem diese Länder, die die Regierung in Belgrad ermutigt hatten, die Aufnahme in die EU jetzt zu beantragen. Spaniens Außenminister Miguel Angel Moratinos wird jetzt alles dafür tun, dass Serbien möglichst schnell einen Status als "Beitrittskandidat" erhält - denn nur dann können die Beitrittsverhandlungen beginnen. Kandidat wird ein Land erst, wenn alle 27 EU-Staaten dies nach Beantwortung eines langen Fragenkatalogs beschließen.

Das kann lange dauern, wie das Beispiel Montenegro zeigt. Das Land hatte im Dezember vergangenen Jahres einen Aufnahmeantrag gestellt und ist noch immer nicht Kandidat. Auch Albanien muss noch auf seinen Kandidatenstatus warten. Die Regierung in Tirana hatte im April dieses Jahres einen Beitritt beantragt. Vor wenigen Wochen hat die EU-Kommission Albanien 2280 Fragen zur Beantwortung übergeben. Sie betreffen die Entwicklung des Wirtschafts- und Justizsystems im Land.

Neben der Türkei sind derzeit nur Mazedonien und Kroatien offizielle EU-Beitrittskandidaten. Kroatien wird - trotz des aktuellen Streits mit Slowenien über den Grenzverlauf in der Adria - voraussichtlich im Januar 2011 beitreten. In 17 von 35 Politikbereichen sind die Beitrittsverhandlungen beendet.

Der Beitritt Kroatiens dürfte die Forderungen aus anderen Westbalkan-Ländern, rasch in die EU aufgenommen zu werden, erheblich verstärken. Der Union stehen damit heiße Debatten bevor. Bitterarme und von Korruption geprägte Länder wie Albanien, Bosnien-Herzegowina oder das Kosovo dürften frühestens 2025 reif für einen Beitritt sein. Auf der anderen Seite kann eine Zweiklassengesellschaft auf dem Westbalkan, die sich über viele Jahre hinweg in EU-Mitglieder und Beitrittsaspiranten teilt, zu einem erheblichen politischen Risiko werden und zu neuen Instabilitäten führen. Das will niemand in Brüssel.