Rechtspopulisten fühlen sich bestätigt. Kirchen und Muslime warnen vor Aushöhlung der Religionsfreiheit.

Bern/Hamburg. Bestürzung und Besorgnis vor Spannungen zwischen der christlichen und der islamischen Welt einerseits - Genugtuung und Jubel andererseits. Die Schweizer Volksabstimmung für das Verbot des Neubaus von Minaretten spaltet Europa. Überwiegend wurde das Ergebnis mit Unverständnis aufgenommen. In Österreich, den Niederlanden, Italien und Dänemark sehen sich rechtspopulistische Parteien dagegen in ihren Warnungen vor einer Islamisierung der Gesellschaft bestätigt - und wollen teils ebenfalls Volksabstimmungen durchsetzen. Am Sonntag hatten in der Schweiz 57,5 Prozent der Bürger dafür votiert, in die Verfassung den Satz "Der Bau von Minaretten ist verboten" aufzunehmen.

Muslime und die christlichen Kirchen in Deutschland zeigten sich besorgt um die Freiheit der Glaubensausübung. "Die Religionsfreiheit ist ein Menschenrecht, das nicht einfach durch Mehrheitsentscheidungen geändert werden kann. Dazu gehört auch, dass Muslime in Deutschland ihren Glauben leben können", sagte die Hamburger Bischöfin Maria Jepsen dem Abendblatt. Ramazan Ucar, der Vorsitzende des Bündnisses der Islamischen Gemeinden in Norddeutschland, sagte: "Man darf keine Abstimmung über die Religionsfreiheit machen. So gewinnen nur die Anhänger der rechten Kräfte."

Das Schweizer Votum löste aber auch eine Debatte über Ängste in der deutschen Bevölkerung vor einer Islamisierung aus: Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sieht in dem Volksentscheid ein Warnsignal. Der Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke appellierte an die Muslime, ihre Moscheen nicht zu "Reizsymbolen" werden zu lassen. Die Gebäude müssten sich "in die vorhandene Bausubstanz einfügen", sagte er dem Abendblatt.

Die türkisch-deutsche Soziologin und Autorin Necla Kelek ist überzeugt, dass eine Volksabstimmung in Deutschland über den Bau von Minaretten ein ähnliches Ergebnis hätte wie in der Schweiz. "Minarette sind, wie das Kopftuch oder das öffentliche Beten, eine Machtdemonstration", sagte sie dem Abendblatt.

Hohe islamische Geistliche werteten das Bauverbot als "Beleidigung" und Ausdruck von Rassismus. Großmufti Ali Gomaa, einer der höchsten islamischen Geistlichen, rief die Muslime in der Schweiz auf, legal zu demonstrieren. Die Vereinten Nationen kündigten eine Untersuchung an, ob das Minarettverbot mit internationalem Recht vereinbar ist. In der Schweiz fordert die Christliche Volkspartei nun auch ein Verbot der Burka, der Ganzkörperverhüllung strenggläubiger islamischer Frauen.