Namenslisten von Geheimdienstmitarbeitern sorgen in Ostmitteleuropa nach dem Fall des Kommunismus vor zwei Jahrzehnten immer noch für Aufsehen – weil sie das überwundene Regime personalisieren.

Prag. In Tschechien gründete man von staatlicher Seite Anfang 2008 erst spät ein Institut für das Studium totalitärer Regime (USTR). Jüngst publizierte das USTR eine Liste der ehemaligen tschechoslowakischen Auslandsagenten, etwa 1000 Klarnamen sind, oft mit Foto und Werdegang, im Internet für jedermann abrufbar.

Der Schritt stieß nicht nur auf Beifall. Was in Moskau einst der sowjetische KGB und in Ostberlin die Stasi darstellte, war in der Tschechoslowakei der StB („Statni Bezpecnost“, übersetzt Staatssicherheit). Von 1949 bis 1989 hatte der StB mit einem Heer von zeitweise 18000 hauptamtlichen Mitarbeitern gespitzelt und im Inland versucht, die Dissidenten-Szene systematisch zu unterdrücken. Hunderte kritische Bürger landeten deswegen im Gefängnis.

„Unsere Geschichte kann nicht nur auf der Grundlage von StB- Dokumenten bewertet werden“, heißt es in einer Petition, die auch von Ex-Präsident Vaclav Havel und Ondrej Liska, Vorsitzender der Grünen, unterzeichnet wurde. Liska forderte sogar den Rücktritt von USTR- Direktor Pavel Zacek. Die Sozialdemokraten dachten laut darüber nach, das USTR wieder zu schließen, sie hatten sich ohnehin stets dagegen gewandt, eine tschechische „Gauck-Behörde“ zu schaffen.

Dabei birgt die neue Namensliste nach Ansicht von Beobachtern politisch kaum überraschendes. Der aktuell amtierende stellvertretende Innenminister Jiri Komorous hatte seine Geheimdienst-Tätigkeit laut Radio Prag schon früher eingestanden; er sei während Studienzeiten als StB-Reserve geführt worden. Auch dass durch die Botschaft in Bonn mindestens 20 tschechoslowakische Agenten geführt wurden, teils als Diplomaten getarnt, war vorhersehbar.

Schon in früheren Jahren hatten Privatinitiativen umfangreiche Namenslisten des StB-Stabs und von inoffiziellen Mitarbeitern veröffentlicht. „Ich sehe die Petition als Aufforderung an mein Institut, seine Informationen der Zensur zu unterziehen“, sagt nun USTR-Leiter Zacek. Die Verfassung aber garantiere Recherche-Freiheit für seine Behörde, betont Zacek, man verstehe sich als „unabhängige Institution, die selbst entscheiden kann“.

Spätestens dann kommt die „Einzelfallprüfung“ wieder ins Spiel. Nicht jede Karteikarte deutet wirklich auf Unrecht hin, manche Unterschrift wurde erpresst, andere „Agenten“ lieferten absichtlich unbrauchbares Material – das wissen auch die USTR-Experten. Aber wie Zacek sehen sie „das Forschungsbedürfnis von Öffentlichkeit und Medien“ als wichtiger denn den Persönlichkeitsschutz. „Wir können doch nicht selbst mit Zensur anfangen“, meint ein Mitarbeiter.

Vor 20 Jahren bei der „Samtenen Revolution“ in Prag lautete einer der Leitsätze: „Wir sind anders als sie (die Kommunisten)“ – der spätere Präsident Havel und Mitstreiter wollten eben nicht abrechnen, sondern vergeben und damit eine neue Gesellschaft möglich machen. Auch deshalb dauerte es so lange, bis eine bürgerlich-konservative Koalition den Weg bereitete für das USTR, das nun die Aufarbeitung der nationalen Geschichte in aller Öffentlichkeit sichtlich vorantreibt.