„Die Partei, die Partei, die hat immer Schuld“. So könnte man in Anlehnung an einen alten kommunistischen Gassenhauer die Stellungnahme von Kang Kek Eav alias Duch vor dem Tribunal zur Aufklärung der Verbrechen der Roten Khmer zusammenfassen.

Phnom Penh. Mit ruhiger, klarer Stimme liest Duch seine Sicht der Geschichte vom Blatt ab, die zur Machtübernahme der kommunistischen Roten Khmer im April 1975 führte und nach knapp vierjähriger mörderischer Herrschaft und zwei Millionen Toten im Januar 1979 durch den Einmarsch der Vietnamesen in Kambodscha zu Ende ging. Duch kann sich gut erinnern. Penibel nennt er Namen von Opfern und Tätern, benennt auf den Tag genau präzise, wer wann von wem verhaftet wurde, wirft mit Aktenzeichen um sich, liest gar seine durchnummerierten Fußnoten vor.

Das Gespenstische an Duchs Geschichtslektion: Er selbst kommt darin nicht vor. Und wenn, dann nur als Opfer. Die eigentlich Schuldige an Folter und Mord in Duchs Foltergefängnis S 21 ist die elfköpfige Parteiführung um Diktator Pol Pot. Das ist praktisch. Denn bis auf Bruder Nummer Zwei, Nuon Chea, dem zusammen mit vier anderen ehemaligen hochrangigen Rote-Khmer-Führern 2011 der Prozess gemacht werden soll, sind die Übeltäter alle tot. Sich selbst porträtiert der ehemalige Mathematiklehrer als ein willenloses, machtloses Rädchen im System. Dabei unterschlägt er, dass ihn die Partei zum Chef von S 21, dem wichtigsten Gefängnis, auserkoren hatte, weil er sich zu Guerillazeiten der Roten Khmer im Foltergefängnis M 13 als loyaler Kader und effektiv bei der „Zerstörung“ der „Feinde der Partei“ erwiesen hatte.

Ruhig, das angegraute Haar sauber gescheitelt, wirkt der zum Christentum übergetretene Mann im blauen Hemd während des Plädoyers von Staatsanwalt William Smith abwesend und desinteressiert – gerade so, als sei er nicht die Hauptperson, sondern nur ein Zuschauer, den es aus Versehen in eine langweilige Veranstaltung verschlagen hat. Smith nennt Duch einen „glühenden Anhänger der Revolution“, der die Verbrechen in S 21 „systematisch und vorsätzlich“ begangen habe. Er wirft ihm vor, den Roten Khmer auch nach dem Sturz des Regimes noch 15 Jahre lang treu geblieben zu sein. Der australische Jurist bezweifelt, dass Duchs Reue ernst gemeint sei.

Der Andrang im außerhalb von Phnom Penh gelegenen Gerichtsgebäude ist groß an diesem Mittwoch. Mehr als 900 Kambodschaner sind gekommen, um das Ende des ersten, historischen Verfahrens selbst zu erleben. Der Prozess ruft grausame Erinnerungen wach, verspricht aber auch Hoffnung auf Wahrheit und Gerechtigkeit. Der Saal ist bis auf den letzten Platz besetzt. Einigen hundert bleibt nur, den Duchs Auftritt auf den Videoleinwänden außerhalb zu verfolgen.

Die Reaktionen sind unterschiedlich. Unter der jüngeren Generation macht sich schnell Langeweile breit; manche machen ein Nickerchen. Rote Khmer, das ist was aus einer fernen Vergangenheit, die nicht mehr Teil ihrer Lebenswirklichkeit ist. Die älteren verfolgen das Geschehen aufmerksam. Auf ihren zerfurchten Gesichtern sind das Leid, die Trauer um ermordete Familienangehörige, aber auch die Wut über den Verrat an einer Ideologie, an die so manch einer einst geglaubt hat, deutlicher zu sehen, als es je in Plädoyers, Gerichtsakten und Zeugenaussagen beschrieben werden kann.

Der Antrag der Staatsanwaltschaft auf 40 Jahre Haft statt lebenslänglich für Duch löst Unverständnis und Entsetzen aus. Der Angeklagte habe „begrenzte Reue“ gezeigt und durch seine Aussagen entscheidend zum besseren Verständnis der inneren Gesetzmäßigkeit der Roten Khmer beigetragen, heißt es zur Begründung. „Das ist keine Gerechtigkeit. Das Tribunal hat versagt“, schimpft Chum Mey, einer der sieben Überlebenden von S 21 und Präsident des neu gegründeten „Verbandes der Rote-Khmer-Opfer“. Duch erfahre eine Form von Menschlichkeit, die er den Häftlingen von S 21 verweigert habe.

Die Erwartungen an das Tribunal sind hoch – vielleicht zu hoch. Nur langsam wird den Opfern bewusst, dass die juristischen Möglichkeiten zur Aufarbeitung der Geschichte begrenzt sind. Staatsanwalt Smith sagt, das Tribunal könne über die Schuld der Angeklagten befinden. Ein nationaler Versöhnungsprozess aber könne allenfalls ein „Nebenprodukt“ des Verfahrens sein.