Mit einem Schlag sind die Skandale um Sextourismus von Ministern und die staatlich geförderte Blitzkarriere des Präsidentensohnes Jean vergessen. Rechtzeitig zur Regionalwahl im März hat Nicolas Sarkozy den Franzosen eine drei Monate lange Debatte zum Reizthema “Nationale Identität“ verordnet.

Paris. Gefördert wird der "Stolz, Franzose zu sein". Mit diesem Werte-Thema war Sarkozy an die Macht gekommen. "Ohne die nationale Identität wären wir hinter Ségolène (Royal)", der Kandidatin der Sozialisten, sagte Sarkozy bei der Präsidentenwahl 2007. Seinen Sieg verdanke er den Wählern der rechtsradikalen Nationalen Front.

Der Minister für Nationale Identität, Éric Besson, gab schon mal die Richtung vor. Künftig sollen alle Jugendlichen einmal im Jahr die Nationalhymne singen. "Zu den Waffen, Bürger. Marschieren wir. Damit ein unreines Blut unsere Ackerfurchen tränkt", heißt es in dem einstigen Landserlied aus Revolutionszeiten. Die Hymne ist der Regierung teuer: Wer auf sie pfeift, wie es bei Fußballspielen gegen Algerien vorkommt, dem drohen schon heute sechs Monate Haft.

Die Einwanderer will Besson in "Assimilierungsgesprächen" auf die französische Sprache und die Werte der Republik einschwören. "In der Welt des 21. Jahrhunderts brauchen wir Werte, Wurzeln, Bezugspunkt", erklärt UMP-Parteichef Xavier Bertrand. Zurück in die 1950er-Jahre, als junge Senegalesen in der Schule "Unsere Vorfahren, die Gallier" auswendig lernten, will die Regierung zwar nicht. "Multikulti" kommt in Bessons Konzept allerdings nicht vor. Europa bisher auch nicht.

Das stößt auch in den eigenen Reihen auf Unbehagen. "Unsere Zukunft liegt in Europa. Diese Debatte müssen wir führen", sagt Außenminister Bernard Kouchner.

Weil Sarkozy landesweit den Staatsapparat zur Organisation der Debatte einspannt, kann die Opposition sich kaum vor ihr drücken. Royal sieht darin sogar eine Chance, die Regierung vorzuführen. "Diese Debatte fürchte ich nicht", sagt sie. Die nationale Identität baue auf die Revolution und den Kampf gegen Privilegien. "Die Nation ist ein linkes Konzept." Dagegen wettert der Nationalsekretär der Sozialisten, Jean-Christophe Cambadélis, gegen den Wettlauf der Regierung mit der Nationalen Front. Der Grünen-Abgeordnete Noël Mamère sagt schlicht: "Die nationale Identität riecht nach Wahlkampfrauch." Und die Nationale Front verurteilt die Debatte als scheinheilig - und fordert gleichzeitig die Regierung auf, darüber hinauszugehen.

"Zur nationalen Identität gehört auch meckern, kritisieren, niemals zufrieden sein, sich in der Schlange vordrängeln, gerne essen, viel trinken, schlecht Englisch sprechen", schreibt die Kolumnistin Anne Roumanoff. Sie glaube nicht, dass Sarkozy Wähler gewinne, meint die Künstlerin mit russischen und marokkanischen Vorfahren. "Es ist niemals gut, gute Fragen aus schlechten Gründen zu stellen."