Der Herausforderer glaubt nicht an eine “transparente“ Wahl. Dennoch soll die Abstimmung stattfinden.

Hamburg. Afghanistan droht, immer tiefer in die Staatskrise zu rutschen. Trotz des Boykotts der Stichwahl durch seinen Herausforderer Abdullah Abdullah hat sich der afghanische Präsident Hamid Karsai für eine Abstimmung in sechs Tagen ausgesprochen. "Die Umsetzung der Verfassung ist ein Muss", sagte Karsai gestern nach Angaben des Präsidentenpalastes dem Sender Azadi Radio. "Deswegen müssen wir die Wahl wie von der Verfassung vorgeschrieben abhalten." Er werde aber alle Entscheidungen der umstrittenen Wahlkommission (IEC) akzeptieren. Die IEC gilt als parteiisch für Karsai.

Herausforderer und Ex-Außenminister Abdullah Abdullah hatte gestern seinen Boykott der Abstimmung angekündigt mit der Begründung, es drohten auch in der zweiten Runde Wahlmanipulationen. "Ich werde an der Wahl am 7. November nicht teilnehmen", sagte Abdullah in Kabul. Eine "transparente Wahl" sei nicht möglich. Gleichwohl wollen die sechs Mitglieder der Wahlkommission IEC heute zu Beratungen zusammenkommen. Ihr Sprecher Nur Mohammad Nur sagte, auch die IEC gehe weiter von einer Stichwahl aus, bei der nur noch Karsai kandidiere.

Die US-Regierung, die zurzeit über eine neue Afghanistan-Strategie samt einer Truppenaufstockung berät, spielte die Bedeutung von Abdullahs Schritt herunter. Außenministerin Hillary Clinton sagte, sie glaube nicht, dass der Boykott in irgendeiner Weise die Legitimität der Wahl beeinträchtige. Es sei auch in den USA und in anderen Ländern vorgekommen, dass Kandidaten vor einer Stichwahl ausstiegen. Karsai habe die zweite Wahlrunde akzeptiert, ohne das Ergebnis zu kennen, und das "hat von dem Moment an Legitimität gebracht", sagte Clinton.

Die zu erwartende Ein-Mann-Show im zweiten Durchgang dürfte die durch den Wahlbetrug ohnehin schon beschädigte Legitimität Karsais weiter untergraben. Herausforderer Abdullah hatte erfolglos gefordert, dass Karsai den IEC-Chef und drei Minister wegen Wahlbetrugs ablöst. Er befürchtete bei der Stichwahl eine Wiederholung der massiven Manipulationen, zu denen es bei der ersten Runde am 20. August gekommen war und von denen vor allem Karsai profitierte. Abdullah waren bei der Stichwahl wenig Chancen eingeräumt worden. Er rufe seine Anhänger weder zu Demonstrationen noch zu einem Boykott der Stichwahl auf, sagte Abdullah. "Ich bin sicher, dass meine Unterstützer nichts unternehmen werden, um das Land tiefer in die Krise zu führen." Seine Entscheidung für den Boykott der Abstimmung sei "abschließend und endgültig".

Abdullah schloss eine Zusammenarbeit seines Lagers mit Karsai in einer künftigen Regierung nicht aus. "Ich schließe keine Türen", sagte Abdullah. "Gleichzeitig halte ich aber an den Prinzipien fest, mit denen ich meinen Wahlkampf begonnen habe." Ein zentrales Ziel Abdullahs ist der Wechsel von einem Präsidial- hin zu einem parlamentarischen System, was Karsai ablehnt.

Nach dem um gefälschte Stimmen bereinigten Endergebnis der August-Wahl hatte Abdullah in der ersten Runde fast 20 Prozentpunkte hinter Karsai gelegen. Dieser hatte die absolute Mehrheit mit 49,67 Prozent der Stimmen knapp verfehlt. Daher war eine Stichwahl zwischen Karsai und Abdullah notwendig geworden. Die afghanische Verfassung sieht den Rückzug eines Kandidaten bei der Stichwahl nicht vor.

Nach offiziellen Angaben sind bereits rund 15 Millionen Wahlzettel für die Stichwahl zwischen Karsai und Abdullah gedruckt. Nun wird eine extrem geringe Wahlbeteiligung befürchtet. Harun Mir vom afghanischen Zentrum für Politikforschung sagte, die Beteiligung könne unter 20 Prozent fallen. Die Taliban haben angekündigt, die Stichwahl zu stören. Die Aufständischen hatten schon bei der ersten Runde am 20. August zahlreiche Anschläge verübt.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) rief zur Besonnenheit auf: "Jetzt geht es darum, dass der Wahlvorgang streng nach Recht und Gesetz zu Ende geführt wird."