Europa wartet auf den Startschuss aus Prag. Doch die tschechischen Verfassungsrichter haben ihre Entscheidung über den Reformvertrag von Lissabon bis November vertagt - damit bleibt unklar, wann Tschechiens Präsident Vaclav Klaus als Allerletzter das Abkommen ratifiziert.

Hamburg. So fehlt dem EU-Gipfel, der morgen in Brüssel beginnt, für die Neuordnung der auf 27 Mitglieder angewachsenen Gemeinschaft die Rechtsgrundlage. Trotzdem ist das Personalpoker um die neuen Spitzenjobs in der EU voll im Gang.

Die schwedische Ratspräsidentschaft erwartet, dass es zu einem offenen Gerangel um die Personalien kommt. Die britische Regierung warb bereits offensiv für den früheren Premier Tony Blair (56) als ständigen EU-Ratspräsidenten, der zweieinhalb Jahre amtieren und den Europäischen Rat (die EU-Gipfelkonferenzen) leiten soll. Etliche Staaten lehnen Blair allerdings ab, zumal sich Großbritannien weder dem Euro noch der Schengen-Zone ohne Grenzkontrollen angeschlossen hat.

Außerdem hat Luxemburgs Ministerpräsident Jean-Claude Juncker (55) noch einmal sein Interesse an dem Amt bekundet - nicht ohne anzumerken, dass Europa für diesen Posten einen "Handwerker" brauche, "der die europäischen Dinge lange und gut kennt". Damit adelte er sozusagen seine eigene Bewerbung, schließlich hat Juncker bereits die Maastricht-Verträge mitgeprägt und ist mit 14 Amtsjahren dienstältester Premier in der EU. Im Gespräch für das Amt des Ratspräsidenten ist auch der Niederländer Jan Peter Balkenende.

Offen bleibt auch die Besetzung des EU-Chefdiplomaten. Die schwedische Ratspräsidentschaft will nun zumindest klären, wie die Arbeitsverteilung zwischen beiden Ämtern aussieht. Erwogen wird die Einberufung eines Sondergipfels, um über Personalfragen zu entscheiden - wenn die tschechische Hängepartie bis dahin beendet ist.

Bei ihrem Treffen wollen die EU-Staats- und Regierungschefs auch ihr Verhandlungsmandat für die Weltklimakonferenz Anfang Dezember in Kopenhagen festzurren. 2012 läuft das Kyoto-Protokoll aus, das derzeit den globalen Klimaschutz regelt. Umstritten sind vor allem die Finanzhilfen für arme Länder. Nach dem Entwurf der EU-Abschlusserklärung dürfte bis 2020 der zusätzliche Bedarf an Mitteln auf jährlich gut 100 Milliarden steigen. Davon könnte die EU zwei bis 15 Milliarden zuschießen. Eine Reihe von Regierungen, darunter Deutschland, ist dagegen, zu früh ein konkretes EU-Angebot auf den Tisch zu legen.

Die EU-Staaten wollen zudem anbieten, ihren Ausstoß klimaschädlicher Gase bis 2020 um mindestens 20 Prozent im Vergleich zu 1990 verringern. Außerdem will die EU zum ersten Mal Klimavorgaben für die Schifffahrt und den Luftverkehr durchsetzen. Ein Knackpunkt in der EU ist die Frage, wie die Kosten für die Umsetzung der Maßnahmen unter den einzelnen Mitgliedstaaten aufgeteilt werden.

Auf der Agenda der Beratungen stehen darüber hinaus die Bedingungen, die Tschechiens Präsident zur Ratifizierung des EU-Vertrags stellt. Klaus fordert eine Ausnahmeklausel in dem Abkommen, um Ansprüche vertriebener Sudetendeutscher auf ihre früheren Besitztümer in Tschechien zu verhindern. Der designierte deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger geht davon aus, dass es rasch zu einer Einigung kommt. In den nächsten zehn bis zwölf Tagen sei der Vertrag mit Prag unter Dach und Fach.