An diesem Freitag findet das zweite Referendum über den Lissabon-Vertrag statt. Sagen die Iren Nein, droht der EU die Lähmung.

Tramore. Zum siebten Mal innerhalb von 22 Jahren werden Irlands Stimmbürger am Freitag gebeten, einen Reformvertrag zu ratifizieren. Es ist erst 15 Monate her, seit über 53 Prozent diese Vorlage ablehnten. "Die Leute hatten offenbar einen Todeswunsch", erinnert sich der lokale Labour-Abgeordnete Brian O'Shea.

Er spürte es schon damals, als er in bewährter irischer Tradition die Wähler an der Haustür zu überzeugen versuchte. Da waren "Vorahnungen über das Schicksal der Wirtschaft" und - obwohl die späteren Umfragen sich scheu zu diesem Thema ausschwiegen - weit verbreitete Befürchtungen über die Zuwanderung zahlreicher Gastarbeiter aus Osteuropa.

Auffällig war damals, dass die tiefsten Einkommensklassen, die Jungen und die Frauen am wuchtigsten gegen den Vertrag stimmten - jene Gruppen vielleicht, die am meisten von dieser billigeren Konkurrenz zu befürchten hatten. Diese für Irland ungewöhnliche Sollbruchstelle ist geblieben, aber die Gewichte haben sich verschoben. Die letzten Meinungsumfragen vor dem eigentlichen Urnengang verheißen einen Vorsprung der Ja-Stimmen von 55:27 beziehungsweise 48:33.

Der deutliche Meinungsumschwung beruht indessen kaum auf den Garantien, welche die irische Regierung ihren EU-Partnern in der Zwischenzeit abgerungen hat. Diese bestätigen nämlich bloß gewunden, was nicht im Vertrag steht: Das irische Abtreibungsverbot bleibt unangefochten, es wird keine Militärpflicht geben, die tiefe Körperschaftssteuer ist sakrosankt. Die damals und heute weit verbreitete Befürchtung, die EU werde die Rechte irischer Arbeitnehmer einschränken, wurde allerdings nur durch eine Absichtserklärung der EU besänftigt, denn tatsächlich ändert der Vertrag in diesem Bereich nichts an der umstrittenen Praxis des Europäischen Gerichtshofes, die Interessen von transnationalen Unternehmungen etwas einseitig zu begünstigen. Folglich wird den Iren am Freitag exakt dieselbe Vorlage unterbreitet wie vor 15 Monaten. Die einzige materielle Änderung besteht darin, dass jedes Land auch künftig seinen eigenen EU-Kommissar behält.

Die irischen Befürworter - sämtliche im Parlament vertretenen Parteien mit Ausnahme Sinn Féins, der Bauernverband, die Arbeitgeber, die meisten Gewerkschaften, Multis wie Intel und Ryanair - verzichteten denn auch diesmal wohlweislich darauf, die weitgehend irrigen Unterstellungen der Gegner in den Vordergrund ihrer Werbung zu stellen. Sie kamen vielmehr gleich zur Sache: "Irland geht es besser mit Europa" verkündeten die Plakate. Der wenig subtile Subtext: Wenn die Bürgerinnen und Bürger noch einmal bocken, steht die EU-Mitgliedschaft auf dem Spiel. Oppositionsführer Enda Kenny nahm kein Blatt vor den Mund: "Ein klares Ja signalisiert, dass wir im Geschäft sind, dass wir ausländische Investitionen begrüßen und ein bekennendes Mitglied der EU bleiben." Der Taoiseach, Premierminister Brian Cowen, verkündete, ein Ja wäre "ein entscheidender Schritt zur wirtschaftlichen Gesundung".

Denn hier liegt der wahre Grund für Irlands Sinneswandel. Nach rund 15 Jahren ungestümen Wirtschaftswachstums, in dessen Verlauf sich die Zahl der Beschäftigten verdoppelt hat, stürzte Irland in den letzten anderthalb Jahren ins Bodenlose. Der fiebrige Immobilienboom, der von Cowens Regierungspartei Fianna Fáil angeheizt und von Spekulanten und Bankern geschürt worden war, kollabierte fast über Nacht. Die Wirtschaftsleistung Irlands wird dieses Jahr um rund neun Prozent schrumpfen, im Haushalt gähnt ein Loch von rund zwölf Prozent des Bruttoinlandsprodukts, und die Arbeitslosenquote nähert sich ebenfalls zwölf Prozent. Angesichts dieser desolaten Lage ist das EU-Referendum für die meisten Wähler nur eine lästige Pflichtübung.