Straßburg. Als der EU-Kommissionspräsident fliegenden Schrittes auf das Plenum im Europäischen Parlament zusteuert, kommt sein Mitarbeiterstab kaum hinterher. José Manuel Barroso ist nach Straßburg gekommen, um sein Amt zu verteidigen, mit Volldampf. Noch im Juli hatte der Portugiese blass und schlecht gelaunt den Abgeordneten Rede und Antwort gestanden. Doch zwei Monate später sehen die Allianzen im Europäischen Parlament ganz anders aus, und das weiß Barroso, als er sich zur Abstimmung stellt.

Um 12.14 Uhr gibt die digitale Leinwand im Plenum Portugals Ex-Premier grün auf schwarz recht: 382 Abgeordnete stimmen für Barroso, 219 gegen ihn, 117 enthalten sich. Damit hätte der Konservative sogar eine Mehrheit sicher, wenn bereits der Vertrag von Lissabon in Kraft wäre, der die Macht des Parlaments deutlich stärkt. Barroso darf sich als klarer Sieger fühlen.

Einer der ersten Gratulanten ist Daniel Cohn-Bendit, Chef der Grünen-Fraktion im EU-Parlament, bewaffnet mit Sonnenblume, einem "Stoppt Barroso"-Shirt und einer Pro-Klimaschutz-Flagge. "Sie erinnern mich an meine Jugend", hatte Ex-Maoist Barroso anerkennend zum französischen Grünen gesagt, nachdem dieser ihn am Vortag in einer sehr emotionalen Debatte heftig angegangen war. "Sie bezeichnen sich selbst als Europäer. Aber Sie sind einer Ideologie verhaftet, die uns in diese Krise geführt hat", warf Cohn-Bendit dem Kommissionschef vor. Seine Fraktion verweigere ihm die Zustimmung.

Trotzdem kann sich auch Cohn-Bendit als Sieger fühlen. Das EU-Parlament hat es geschafft, sich gegen den Willen des Europäischen Rats der Staats- und Regierungschef zu wehren. Der hatte eine schnelle Absegnung von Barroso gewünscht. Stattdessen ging eine breite Debatte um das Für und Wider einer Wiederwahl des Portugiesen los. Zudem zwang der für Barroso unerwartet hohe Druck auch seiner eigenen Partei den Bewerber, ein Leitlinien-Papier auszuarbeiten, das er in allen Fraktionen verteidigen musste. Ein Ergebnis ist das Versprechen, verstärkt gegen Sozialdumping in Europa zu kämpfen. Konkret sagte Barroso zu, Unklarheiten in der Entsende-Richtlinie auszuräumen. Auch die geplante neue Arbeitszeitrichtlinie werde auf ihre sozialen Folgen abgeklopft. Einen Menschenrechtskommissar soll es in der nächsten EU-Kommission geben. Und Barroso will für seine Politik öfter im EU-Parlament Rechenschaft ablegen.

Doch in Straßburg gab es auch einen, der als vermeintlicher Sieger anreiste - und als Verlierer ging: der Deutsche Martin Schulz, Chef der Sozialistischen Fraktion. "Barroso hat sich mithilfe der Anti-Europäer ins Amt helfen lassen, das ist ein Armutszeugnis", ätzte Schulz mit Blick auf die Stimmen euroskeptischer Briten und Polen. Schulz hatte die Rebellion mit Cohn-Bendit gegen Barroso angeführt, war aber bald ausgeschert. Der offizielle Grund: Die Linken wollten sich konstruktiver Zusammenarbeit nicht verwehren, Schulz entschied sich deshalb für Enthaltung statt Ablehnung bei der Wahl. Das Motiv dahinter: Der Deutsche will in der zweiten Hälfte der Legislatur wieder EU-Parlamentspräsident werden. Dafür braucht er die Unterstützung der Konservativen. Doch nun hat er nicht nur mit diesen schwere Zeiten vor sich; auch in seiner eigenen Fraktion hängt der Haussegen schief, weil Spanier und Polen gegen Schulz' Willen für Barroso stimmten.

Für den neuen alten Kommissionschef ist mit der Hürde Straßburg das Rennen um die künftige Besetzung der EU-Gremien indes noch nicht vorbei. Barroso muss nun ein neues Kommissionskollegium zusammenstellen, das ebenfalls der Zustimmung des Parlaments bedarf. Die Amtszeit der gegenwärtigen Kommission endet am 31. Oktober. Barroso äußerte aber die Erwartung, dass seine Kollegen über diesen Termin hinaus geschäftsführend im Amt bleiben würden, bis der EU-Reformvertrag von Lissabon in Kraft tritt. Am 2. Oktober stimmen die Iren erneut über den Vertrag ab. Barroso fliegt am Sonnabend auf die Grüne Insel, um Werbung für den Vertrag zu machen, der Europa nach siebenjähriger Debatte die neue Grundlage geben soll.