Zum Jahrestag der Lehman-Pleite hat US-Präsident Barack Obama der Wall Street eine Standpauke gehalten. “Anstelle die Lektionen aus der Krise zu lernen, ignorieren sie die Lehren“, sagte er mit Blick auf die schon wieder enorm risikofreudigen Bankmanager.

New York. Die Finanzmarktakteure dürften nicht auf Gesetze warten, sondern müssten selbst Maßnahmen ergreifen, um das Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen, appellierte Obama in seiner Rede vor Bankern, Abgeordneten und Regierungsmitarbeitern in New York.

Zwar gebe es begründete Zuversicht, dass "die Stürme der vergangenen Jahre allmählich nachlassen". Aber eine Rückkehr der Normalität dürfe keine Rückkehr zur Selbstgefälligkeit bedeuten. "Hört meine Worte", so Obama. "Wie kehren nicht zurück zu rücksichtslosem Verhalten, wo zu viele nur von saftigen Boni motiviert waren."

Die scharfen Mahnungen an die Finanzwirtschaft konnten nicht kaschieren, dass die von Obama angestrebte Reform auf der Stelle tritt. Der Bankrott der US-Großbank Lehman Brothers hatte vor einem Jahr die Weltwirtschaftskrise ausgelöst. Doch konservative Abgeordnete und Lobbyisten haben seitdem verhindert, dass Wall Street Zügel angelegt werden. Im Gegenteil ist es durch Bankpleiten und Übernahmen noch zu einer Konzentration im Finanzmarkt gekommen.

Zu Obamas dringendsten Anliegen gehört der Zwang zu einer höheren Kapitaldeckung für Banken: Die Institute sollen künftig nur mit riskanten Papieren handeln dürfen, wenn sie genug Geld im Rücken haben, um bei Verlusten nicht wieder in existenzbedrohende Schieflagen zu kommen. Derzeit spekulieren die Bankhäuser schon wieder in einem Umfang weit über ihre eigenen Mittel hinaus. Darüber hinaus will die US-Regierung neue Aufsichtskompetenz für die US-Notenbank und höhere Transparenz an den Märkten.

Doch wegen des Widerstands von Lobbyisten und mangels Rückhalt in den eigenen Reihen kommt die Reform nicht vorwärts. Erst Ende des Jahres, so hofft der demokratische Senator und Vorsitzende des Bankausschusses, Chris Dodd, könnte das Gesetzespaket fertig sein.

Doch nicht nur die Banken und der Finanzsektor stellen Obama vor Probleme. In der Bevölkerung wächst Kritik an seiner Wirtschaftspolitik. Inzwischen haben sieben von zehn US-Bürgern kein Vertrauen mehr, dass ihre Regierung ausreichend Schritte zur Verhinderung einer erneuten Krise unternommen hat. 80 Prozent halten den Zustand der Wirtschaft für schlecht, und eine Mehrheit macht sich Sorgen darüber, finanziell über die Runden zu kommen. Die Arbeitslosenquote lag im August bei 9,7 Prozent. Dazu kommt, dass die Staatsschulden schwindelerregende Höhen erreicht hat. Vom Konjunkturprogramm über die Rettung der Autoindustrie bis hin zur Stützung der Banken: Die Regierungsausgaben machen der "New York Times" zufolge mit 26 Prozent einen so großen Anteil an der US-Wirtschaft aus wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr.