Europäische Beobachter sprechen dennoch von einem Erfolg. Mehrheit der Amerikaner ist kriegsmüde.

Hamburg/Kabul. Wenige Tage nach der Präsidentschaftswahl in Afghanistan sind die Vorwürfe wegen Wahlfälschungen und Einschüchterungen der Wähler so massiv geworden, dass sie nach Ansicht der Beschwerdekommission (ECC) erheblichen Einfluss auf das Endergebnis haben dürften. Bis gestern waren 225 Beschwerden bei der von der Uno gestützten Organisation eingegangen. Darunter seien 35 sehr gravierende Anschuldigungen, wie Grant Kippen, der Chef der Kommission, mitteilte.

Der Hauptvorwurf beziehe sich auf den Umgang mit Wahlurnen, sagte Kippen. Man rechne mit einer steigenden Zahl entsprechender Anschuldigungen. So behauptete der Kandidat Mirawis Jassini, eine Wahlurne mit vielen Stimmen für ihn sei von den Offiziellen im Wahllokal einfach beiseite geschafft worden; Tausende Stimmzettel mit dem Stempel der Wahlkommission habe man verbrannt. Eine Patrouille der Bundeswehr, die Wahlunterlagen transportierte, wurde im Distrikt Kundus von Rebellen mit Panzerfäusten angegriffen. Niemand wurde dabei verletzt.

Der stärkste Herausforderer des amtierenden Präsidenten Hamid Karsai, der frühere Außenminister Abdullah, warf seinem Rivalen vor, seine Beamten hätten der Bevölkerung befohlen, für Karsai zu stimmen. Zudem hätten sie nachträglich Stimmen für Karsai in die Urnen geschmuggelt. "Das ist alles unter seinen Augen und seiner Führung geschehen", sagte Abdullah. Beide Kandidaten haben den Wahlsieg für sich beansprucht.

Wie die Kommission weiter mitteilte, ließ sich die angeblich nicht abwaschbare Tinte, mit der die Finger der Wähler markiert wurden, offenbar sehr wohl abwaschen - was mehrfaches Wählen ermöglicht habe. Nach Ansicht des deutschen Wahlbeobachters und politischen Analytikers der EU-Mission, Gunter Mulack, müsse eine mögliche Wahlbeteiligung von unter 30 Prozent eine Debatte über die Legitimität des ganzen Urnengangs auslösen. Dennoch sprach Mulack angesichts der angespannten Sicherheitslage in Afghanistan von einem "Erfolg" der Wahlen. Die stetig vorrückenden radikalislamischen Taliban-Milizen hatten die Bevölkerung mit massiven Drohungen sowie Anschlägen von der Wahl abzuhalten versucht. 26 Menschen waren am Wahltag getötet worden. Bislang sind mindestens zwei Fälle bekannt geworden, in denen die Taliban Wählern die mit Tinte markierten Finger abgeschnitten haben. Der Chef der Stiftung für Freie und Faire Wahlen in Afghanistan, Nader Nadery, bestätigte Mehrfach-Stimmabgaben, minderjährige Wähler sowie Manipulation durch Karsai-treue Mitarbeiter der Wahlkommission.

Nadery sagte, dass auch Wahlbeobachter bedroht worden seien. Und in der südafghanischen Provinz Urusgan hätten nur ganze sechs von 36 Frauen-Wahlzentren öffnen können. EU-Missionschef Philippe Morillon beklagte, wegen der Gewalttaten der Taliban sei die Wahl nicht überall frei gewesen. Insgesamt werteten die europäischen Beobachter den Urnengang jedoch als "weitgehend positiv". Die EU hatte Beobachter in 17 der 34 afghanischen Provinzen entsandt. Die Wahlkommission will morgen zunächst die Ergebnisse von 2000 der 6200 Wahllokale veröffentlichen. Falls weder Karsai noch Abdullah oder ein anderer der mehr als 30 Kandidaten mehr als 50 Prozent der Stimmen erhalten haben, erfolgt eine Stichwahl.

Der Sondergesandte von US-Präsident Barack Obama, Richard Holbrooke, sagte, Washington werde die Ergebnisse der Wahlkommission und der Beschwerdekommission abwarten, bevor die US-Regierung ein Urteil über die Legitimität fälle. Nach einer neuen Umfrage, die die "Washington Post" veröffentlichte, ist inzwischen eine Mehrheit von 51 Prozent der Amerikaner der Ansicht, dass es nicht der Mühe wert sei, diesen Krieg zu führen - zehn Prozent mehr als noch im März. Und nur noch ein Viertel der befragten Amerikaner sind bereit, noch mehr Truppen an den Hindukusch zu entsenden.