Rafiq Shirdel (52) ruft alle zwei Stunden seine Kinder in Steilshoop an. Wenn Raketen in Kabul einschlagen, so wie gestern, wartet er nicht so lange.

Kabul. Er weiß, dass die vier sich Sorgen um ihn machen. Aber von der Reise abhalten konnten sie ihn nicht. 47 Verwandte hat Shirdel in den vergangenen sieben Jahren in Afghanistan verloren. Jetzt will er dabei sein, wenn über die Zukunft des Landes entschieden wird. Er selbst darf nicht zur Wahl gehen, denn er hat seine afghanische Staatsbürgerschaft vor vielen Jahren gegen die deutsche getauscht.

In Kabul wohnt Shirdel bei deutschen Freunden, nur einen Kilometer vom Präsidentenpalast entfernt. Gestern schlug dort eine Rakete ein, Shirdel hörte die Explosion. "Natürlich habe ich Angst", sagt er. Wahrscheinlich mehr Angst als die Einheimischen. "Die haben schon ganz anderes erlebt", sagt Shirdel. "Für die sind drei Raketen Peanuts." Alle Afghanen, die er kennt, wollen trotz der Angriffe zur Wahl gehen. Auch er will sich von den Raketen nicht einschüchtern lassen, geht weiter ins Kaffeehaus, hört sich um, beobachtet. "Bin schon auf deine Schilderungen, Berichte, Fotos gespannt", hat jemand auf Shirdels Internetseite "Netzwerk Afghanistan Info" geschrieben. Über diese von ihm gegründete Plattform tauscht sich der Reisekaufmann mit Menschen aus aller Welt aus. Im Kaffeehaus in Kabul erzählt er nicht, dass er aus Hamburg kommt. Zu groß ist die Angst vor einer Entführung. Shirdel trägt immer eine Pistole bei sich. Schon mehrmals wollten ihm Polizisten diese wegnehmen, doch in Afghanistan wirkt sein deutscher Pass wie ein Waffenschein.

Da er die Sprache fließend spricht und sich traditionell kleidet, kommt er im Kaffeehaus schnell mit anderen ins Gespräch. Meistens geht es um Politik. Das freut Shirdel. "Die Menschen interessieren sich für die Wahl und diskutieren über die im Fernsehen übertragenen Diskussionsrunden", sagt er. Besonders die Anhänger von Abdullah Abdullah, dem wichtigsten Herausforderer von Präsident Hamid Karsai, seien sehr gut organisiert. Zu Abdullahs Veranstaltung im Stadion seien aber viel weniger Zuhörer gekommen als geplant. Shirdel würde Karsai wählen: "Ich bin nicht hundertprozentig mit der Politik von Karsai einverstanden, aber er hat mittlerweile politische Erfahrung gesammelt und kennt sich aus."