Moskau will nach neuen Entführungen und Morden den Chef der Exilregierung, Sakajew, in Friedensverhandlungen einbeziehen.

London. Im Tschetschenien-Konflikt deutet sich eine überraschende Wende an. Der von Moskau bislang als Kriegsverbrecher und Terrorist gesuchte Chef der tschetschenischen Exilregierung, Achmed Sakajew, soll nach dem Willen der tschetschenischen und russischen Führung nun in die Friedensbemühungen im Nordkaukasus eingebunden werden. Das erklärte ein Vertrauter des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow gestern in London. Dort hatte sich der Parlamentspräsident Tschetscheniens, Dukwacha Abdurachmanow, in den vergangenen Tagen zu Gesprächen mit Sakajew getroffen.

Der ehemalige Vizepräsident Tschetscheniens hatte in zwei Kriegen gegen Russland gekämpft und lebt seit mehreren Jahren im Londoner Exil. Wiederholt hatte die russische Generalstaatsanwaltschaft von Großbritannien die Auslieferung Sakajews verlangt.

Nun gibt es eine neue Entwicklung. "Ja, der russische Präsident Dmitri Medwedew und Ministerpräsident Wladimir Putin haben ausdrücklich zugestimmt, Sakajew in den Friedensprozess einzubinden", teilte Abdurachmanow mit. Er hatte sich im Auftrag seiner Regierung bereits vor zwei Wochen in Oslo zu Gesprächen mit Sakajew getroffen. Dabei haben beide vereinbart, dass bis Ende dieses Jahres der Tschetschenische Weltkongress, ein Gesprächskreis verschiedener tschetschenischer Gruppen im In- und Ausland, tagen soll. Das letzte Treffen im Oktober 2002 in Kopenhagen hatte die damalige russische Führung unter Putin noch scharf verurteilt. Diesmal unterstützt sie den Kongress.

"Ein Frieden in Tschetschenien ist nur mit der Unterstützung der Regierung in Moskau möglich. Das habe ich immer so gesehen. Deshalb freut es mich, dass Medwedew und Putin nun den Prozess unterstützen. Sie haben wohl eingesehen, dass ein friedliches Tschetschenien auch Russland nützt", sagte Sakajew gestern in London. Auf das angebliche Angebot des tschetschenischen Präsidenten Kadyrow, in sein Heimatland zurückkehren zu können, ging er allerdings nicht ein.

Die Kehrtwendung Moskaus könnte auch damit zusammenhängen, dass sich Sakajew vom militanten tschetschenischen Untergrund inzwischen distanziert hat. Er war sich gestern mit Abdurachmanow darin einig, dass die Gewalt in Tschetschenien eingedämmt werden müsse. Nach wie vor gibt es dort Entführungen, Folter und Morde. Zuletzt waren die Menschenrechtlerin Natalja Estemirowa und erst am Dienstag die Bürgerrechtlerin Sarema Sadulajewa und ihr Ehemann getötet worden. Beide wurden im Kofferraum eines Autos in der Nähe der Hauptstadt Grosny tot aufgefunden. Die Leichen wiesen Schusswunden in Kopf und Brust auf. "Diese Morde liegen weder im Interesse der tschetschenischen noch der russischen Regierung. Diese tragen aber die politische Verantwortung", sagte Sakajew. Menschenrechtler machen die Truppen von Präsident Kadyrow für Morde, Entführungen und Folter von Aktivisten verantwortlich. Seine Herrschaft basiere auf Angst und Schrecken. Kadyrow wies Anschuldigungen einer Verwicklung in das Verbrechen zurück.