Heute vor einem Jahr brach der Konflikt zwischen Georgien und Russland aus.

Moskau. Es war schon sehr eigentümlich, was da vor einem Jahr, am Abend des 10. August, in der georgischen Hauptstadt Tiflis geschah. Obwohl seit drei Tagen georgische Truppen das südossetische Städtchen Tschinwali beschossen und russische Flieger georgische Städte bombardierten, strahlte Tiflis in hellem Lichterglanz, als wäre ein schöner, harmloser Sommerabend: Auf dem zentralen Rustaweli-Prospekt drängten sich Tausende Menschen, und vorne stand ihr Präsident, Michail Saakaschwili, und stimmte seine Landleute auf den Sieg gegen die Russen, die angeblichen Angreifer, ein.

Selbst noch heute, ein Jahr später, redet Saakaschwili von Sieg. Wortreich und wild gestikulierend beherrschte er die Tafelrunde, zu der er eine Gruppe ausländischer Journalisten geladen hatte. Es sei Moskau nicht gelungen, sagte er essend und Wein trinkend, die Demokratie in Georgien zu beseitigen. Und sei das nicht ein gewaltiger Erfolg? Wahr ist immerhin: Sein Land wurde nicht komplett überrannt: Die russischen Truppen stoppten am 12. August 40 Kilometer vor Tiflis, nachdem der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy mit dem russischen Präsidenten Dmitri Medwedew in Moskau eine Waffenstillstand vereinbart hatte. Zu dem Zeitpunkt hatte sich die georgische Armee längst aus dem Staube gemacht.

So sehr Saakaschwili noch heute vom Sieg redet, die Opposition in seinem Land macht eine ganz andere Rechnung auf: Die für teures Geld aufgerüstete Armee habe sich als unfähig erwiesen, dem Vorstoß der russischen Armee auch nur ansatzweise standzuhalten; die Provinzen Südossetien und Abchasien, die Georgien eigentlich wieder ins Mutterland zurückholen wollte, seien wohl für immer verloren; der angestrebte Nato-Beitritt sei in weite Ferne gerückt; und schließlich müssten weiter Tausende Flüchtlinge versorgt werden.

Moskau dagegen sieht ein Jahr nach dem Waffengang auf den ersten Blick wie der Sieger aus. Mit einem kleinen Krieg hat man die Nato-Mitgliedschaft Georgiens erst einmal verhindert, einige Tausend Mann auf Dauer im Südkaukasus stationiert und den Nachbarstaaten unmissverständlich demonstriert, dass Russland am Rande des Imperiums bereit ist, seine Interessen notfalls auch mit militärischen Mitteln zu verfolgen. Doch diese Stärke ging auch mit Schwäche einher: Indem es die abtrünnigen Provinzen Südossetien und Abchasien als Staaten anerkannte, veränderte Russland erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg gewaltsam Grenzen in Europa - aber niemand zog mit, abgesehen von Nicaragua.

Russland hat damit auch seine Position in den internationalen Beziehungen auf Jahre hinaus schwer belastet. Weltweit habe sein Land an Ansehen verloren, so die Einschätzung des russischen Politologen Dmitri Oreschkin. Denn in den Augen der Europäer habe Russland Vertrauen als strategischer Partner eingebüßt. Geradezu hilflos klang es deshalb auch gestern, als das russische Außenministerium die internationale Gemeinschaft aufforderte, "nach den August-Ereignissen die neuen geopolitischen Veränderungen im Südkaukasus", also Südossetien und Abchasien, anzuerkennen.

Was derzeit in Georgien passiert, darüber sind im Moment nur die Europäer im Bilde, denn Russland hat verhindert, dass die Vereinten Nationen und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) weiterhin in der Region arbeiten. Immerhin: Die Beobachtermission der EU, geleitet vom deutschen Botschafter Hans-Jörg Haber, wurde nun noch einmal um ein Jahr bis zum September 2010 verlängert. Die EU-Beobachter dürfen aber nicht nach Südossetien und Abchasien reisen.

Doch Europäer hoffen wie die Amerikaner, dass sich die Lage im Südkaukasus wieder normalisiert. Die Gas- und Ölpipelines, die durch Georgien gen Westen führen, vertragen keine Feuerspiele. US-Vize Joe Biden mahnte Georgien dazu, territoriale Probleme friedlich zu lösen. Eine militärische Option gebe es nicht. Dabei beschuldigen sich Russen und Georgier gerade gegenseitig, einen weiteren Krieg vorzubereiten und beäugen sich so misstrauisch wie vor dem Krieg.