Es begann mit dem Überfall auf eine Polizeistation am Sonntag im Bundesstaat Bauchi. Seitdem haben sich die Auseinandersetzungen zwischen der radikalislamischen Gruppe Boko Haram und nigerianischen Sicherheitskräften auf vier weitere Bundesstaaten - Borno, Yobe und Kano - im Norden Nigerias ausgeweitet.

Hamburg. Dabei kamen insgesamt mehr als 300 Menschen ums Leben, mindestens 4000 flohen laut dem nigerianischen Zivilschutz vor den Kämpfen. Mehrere Hundert Aufständische sind bereits festgenommen worden. Die Islamisten lehnen eine westliche Erziehung ab und sind für eine verschärfte Durchsetzung der Scharia in Nigeria. Im Moment gilt das islamische Recht in zwölf der 36 Bundesstaaten in der mit geschätzten 150 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichsten Nation Afrikas. Dazu zählen auch die vier von den Kämpfen betroffenen Gebiete. Sie liegen alle im Norden des Landes, in dem die Bevölkerung mehrheitlich muslimisch ist. Der Süden ist christlich geprägt.

Dr. Peter Körner vom Institut für Afrika-Studien in Hamburg sagte dem Abendblatt, "die Islamisten glauben, die Scharia ist dort, wo sie gilt, in der Anwendung zu schwach". Als möglichen Auslöser für die gegenwärtigen Ausschreitungen sieht er eine Protestkundgebung der Boko Haram im Juni, die von der Polizei mit Gewalt aufgelöst wurde. Danach wurden knapp 20 Personen mit Schussverletzungen ins Krankenhaus eingeliefert.

In dem westafrikanischen Land mit seinen reichen Ölvorkommen gibt es seit der Einführung der Scharia im Norden im Jahr 2000 immer wieder Auseinandersetzungen zwischen Christen und Muslime, die jeweils etwa die Hälfte der Bevölkerung ausmachen. Im aktuellen Fall spiele der Gegensatz zwischen Christen und Moslems aber eine untergeordnete Rolle, so Körner. "Es ist mehr eine Auseinandersetzung zwischen Staat und Islamisten." Die Fundamentalisten kämpfen für einen islamischen Gottesstaat im Norden des Landes. Der Großteil der Bevölkerung stehe jedoch nicht hinter der islamistischen Gruppierung, so Körner.

Wie stark die fundamentalistische Gruppe in Zukunft wird, ist auch davon abhängig, was mit ihrem Anführer Mohammed Yusuf passiert, so der Experte. Sein Haus in Maiduguri, das 250 Anhänger der Boko Haram bewachten, wurde bereits von den Sicherheitskräften angegriffen. Anschließend durchkämmten sie die Hauptquartiere und die angrenzenden Stadtteile, in denen sich einige der Islamisten verschanzt hatten. Insgesamt schätzte ein Armeesprecher die Zahl der bewaffneten Fundamentalisten auf etwa 1000. Boko Haram wird als der Taliban nahestehend beschrieben. Sie habe allerdings, soweit bekannt, "keine Verbindung zu Afghanistan".

Polizei und Armee versuchen seit Sonntag die Aufstände unter Kontrolle zu bringen. Gestern befreiten sie 180 Frauen und Kinder, die die Islamisten als Geiseln gefangen genommen hatten. Der Präsident Umaru Yar'Adua ist zuversichtlich, dass die Kämpfe bald beendet sein werden.

Kritik an der Gewalt kam vom Generalsekretär des nigerianischen Muslim-Dachverbandes Jama'atul Nasril Islam. Er sagte, dies sei eine "Peinlichkeit für die Muslime". Seine Organisation berufe eine Dringlichkeitssitzung der muslimischen Würdenträger des Landes ein, um über die Vorgänge zu beraten und der Regierung zu helfen.