Regime droht EU-Diplomaten mit Ausweisung. Italiens Botschaft soll Verletzte aufnehmen.

Teheran. Im Iran verdichten sich die Anzeichen auf einen Machtkampf innerhalb der hohen Geistlichkeit. Der Wächterrat, der zu den mächtigsten Institutionen des Landes gehört, räumte gestern erstmals ein, bei der Präsidentenwahl sei die Zahl der abgegebenen Stimmen in rund 50 Bezirken höher gewesen als die der Wahlberechtigten. Damit widersprach das Gremium, dem sechs Mullahs und sechs Juristen angehören, indirekt dem obersten staatlichen Führer, Ayatollah Ali Chamenei, der Unregelmäßigkeiten bei der Wahl ausgeschlossen hatte.

Der Sprecher des Wächterrats, Abbas Ali Kadchodai, wollte aber keinen "großen" Effekt auf das Wahlergebnis sehen: Insgesamt gehe es um drei Millionen von mehr als 38 Millionen Stimmen, sagte er im staatlichen Fernsehen. Stunden später ließ das mächtige Gremium Kadchodais Aussagen wieder dementieren. Präsident Mahmud Ahmadinedschad hatte nach amtlichen Angaben angeblich etwa zehn Millionen Stimmen mehr erhalten als sein Herausforderer Mir Hussein Mussawi.

Trotz verschärfter Drohungen haben Reform-Anhänger auch gestern demonstriert. Auf einem zentralen Platz Teherans versammelten sich rund 1000 Menschen. Oppositionschef Mussawi rief seine Anhänger im Internet zu weiteren Protesten auf: "Das Land gehört euch! Der Protest gegen Lügen und Wahlbetrug ist euer Recht." Mussawi sprach von Massenfestnahmen. Auch Ex-Präsident Mohammed Chatami stellte sich hinter die Demonstranten. Demgegenüber drohten die militanten Revolutionsgarden, sie seien bereit zum "entscheidenden Einsatz" gegen die Opposition.

Unterdessen wurde bekannt, dass aus dem iranischen Gesetzbuch die Steinigung von Verbrechern und das Handabschlagen bei Diebstahl gestrichen werden sollen. Beobachter sahen darin ein Zeichen, dass das Ahmadinedschad-Regime der Opposition entgegenkommen will.

Außenpolitisch wird dagegen der Ton zwischen dem Iran und der EU eisig. Ein Sprecher der Regierung in Teheran sagte, wegen der anhaltenden Kritik aus dem Westen erwäge man die Ausweisung europäischer Diplomaten.

Die Bundesregierung bestellte gestern den iranischen Botschafter ein und widersprach dem Vorwurf, sie mische sich in Irans innere Angelegenheiten ein. Italien erteilte seiner Botschaft in Teheran den Auftrag, verletzte Demonstranten aufzunehmen und zu schützen.