Das Abtreibungsverbot in Irland, die Steuerpolitik und die militärische Neutralität werden künftig nicht angetastet.

Brüssel. Schon in den frühen Morgenstunden war am Freitag mancher Regierungschef in Brüssel auf den Beinen. Der britische Premierminister Gordon Brown saß bereits um 5.30.Uhr in seinem Hotelzimmer am Schreibtisch und feilte an Zugeständnissen für Irland.

Mit weit reichenden Garantieerklärungen an die Adresse der irischen Wähler will die Europäische Union den Weg für eine neue Abstimmung über den Vertrag von Lissabon ebnen. Dieser soll die Union demokratischer und handlungsfähiger machen.

Die 27 EU-Regierungschefs garantieren den Iren nun, dass die Bestimmungen des neuen EU-Reformvertrags die Steuerhoheit und die militärische Neutralität des Inselstaats nicht antasten werden. Zudem kann Irland sein striktes Abtreibungsverbot beibehalten und hat weiterhin Anspruch auf einen EU-Kommissar.

All diese Punkte stellte der neue Vertrag zwar gar nicht infrage. Die Klarstellung soll den Iren das Regelwerk jedoch schmackhaft machen, nachdem sie es im Juni 2008 zunächst abgelehnt hatten. Irland beharrt darauf, dass die Garantien in einem Protokoll niedergelegt werden, das nach Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags von allen EU-Staaten ratifiziert werden muss.

Dieser Punkt war bis zur letzten Minute umkämpft. Vor allem die Regierung in London war dagegen. Sie fürchtete, dass eine Ratifizierung der Zusatzgarantien im eigenen Land eine erneute Kontroverse um den ohnehin umstrittenen Reformvertrag auslösen könnte.

Der EU-Gipfel löste das Problem mit einem Verfahrenstrick: Die Mitgliedstaaten müssen den Reformvertrag in ihren Ländern kein zweites Mal zur Abstimmung stellen, weil nach Meinung Brüssels das Protokoll voll mit dem Inhalt des Vertrags vereinbar ist. Und die Regierungschefs können sich mit der Ratifizierung des Protokolls Zeit lassen, bis ein neuer EU-Vertrag ansteht. Das wird aller Wahrscheinlichkeit nach der Beitritt Kroatiens oder Islands, voraussichtlich im Jahr 2011, sein.

Die irische Regierung machte das Garantieprotokoll zur Voraussetzung für ein zweites Referendum innerhalb von 15 Monaten. Ministerpräsident Brian Cowen kündigte in Brüssel an, Anfang Oktober werde eine zweite Volksabstimmung stattfinden. Vor einem Jahr hatte das Nein der Iren den Reformprozess gestoppt und die EU in eine Krise gestürzt. Für das Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags ist die Zustimmung aller 27 Mitglieder notwendig.

Trotzdem ist Lissabon "noch lange nicht in trockenen Tüchern", wie der scheidende Fraktionschef der Liberalen im EU-Parlament, Graham Watson, warnt. Zwei Namen stehen als "Risikofaktoren" im Raum: Vaclav Klaus und David Cameron. Der tschechische Präsident Klaus, der seine Unterschrift noch nicht unter den Vertrag gesetzt hat, könnte die Zusage an Irland zum Vorwand für weitere Verzögerungen nehmen. Sollte dann der Vertrag bis zur ersten Jahreshälfte 2010 nicht in Kraft treten, droht Ungemach aus Großbritannien. Dort stehen Wahlen an, die aller Voraussicht nach Oppositionsführer Cameron gewinnt. Er hat seinen Anhängern zugesichert, Lissabon durch ein Referendum zu kippen. Angesichts der großen Euro-Skepsis im Königreich wäre das Vertragswerk nach fast zehn Jahren Verhandlungen damit endgültig gescheitert.

Beim Gipfel ging es auch um die Zukunft von EU-Kommissionschef José Manuel Barroso. Die Regierungschefs hatten einstimmig ihre volle Unterstützung für eine zweite, bis 2014 laufende Amtszeit des Portugiesen ausgesprochen. Unsicher ist jedoch noch, ob das Parlament Barroso bei der Abstimmung Mitte Juli tatsächlich bestätigen wird. Bei den Sozialisten, den Grünen und teilweise den Liberalen gibt es Widerstand gegen Barroso. Der scheidende Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering drängt auf eine schnelle Ernennung: "Eine Wahl im Juli wäre ein Zeichen von Stabilität."

In einer wichtigen Frage setzte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) durch: Die Milchpreise in Europa werden noch mal überprüft. Die EU-Kommission muss jetzt den Milchmarkt erneut unter die Lupe nehmen - was sie ohnehin regelmäßig tut - und Vorschläge für eine Stabilisierung der Preise vorlegen. Damit ist klar: Es wird zumindest marginale Änderungen geben, die den Bauern gegen den Verfall der Milchpreise kurzfristig helfen können. Wahrscheinlich ist, dass die sukzessive Erhöhung der Milchquote um jährlich ein Prozent bis 2013 teilweise ausgesetzt wird. Langfristig verändert sich freilich nichts: Die Milchquote wird 2015 endgültig fallen.