Afghanistan, die Wirtschaftskrise, der Kampf gegen den Klimawandel, mehr Rechte für Frauen - US-Präsident Barack Obama legte den “eindruckvollsten Start seit Roosevelt“ hin. Das findet zumindest das einflussreiche US-Magazin “Time“.

Hamburg/Washington. Im März 1933, fünf Tage nur nach seinem Amtsantritt, berief US-Präsident Franklin Delano Roosevelt den US-Kongress zu einer Sondersitzung ein, die 100 Tage dauerte. In dieser Zeit legte Roosevelt die Grundlagen seines berühmten "New Deal" zur Bewältigung der Wirtschaftskrise, am Erfolg dieser 100 Tage wollte Roosevelt gemessen werden. Wenn es also nun um die ersten 100 Tage der Präsidentschaft Barack Obamas geht, die am 30. April enden, dann ist ein historischer Bezug zu Roosevelt durchaus angebracht, denn er zählt neben Abraham Lincoln zu den Vorbildern Obamas. Zudem muss dieser eine Krise bewältigen, wie sie Amerika seit Roosevelts Tagen nicht mehr erlebt hat.

Die Erwartungen an den 44. Präsidenten waren angesichts der wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen gewaltig. Vieles hat der charismatische Mann aus Illinois bereits bewegt, doch die schwersten Probleme harren noch ihrer Bewältigung.

Der britische Historiker Tariq Ali meinte in der "sonntaz", die ersten 100 Tage zeigten "starke Kontinuität mit der Regierung Bush". Obama sei "fleißig dabei, den Nato-Krieg in Afghanistan über den Khyber-Pass auszudehnen". Dies habe bereits zur Destabilisierung Pakistans geführt.

Und der Präsident will mit massiven Truppenverstärkungen sowie Einsätzen von Kampfdrohnen und Spezialeinheiten nicht nur Afghanistan stabilisieren, sondern gleich auch noch die labile Atommacht Pakistan. Es ist ein riskantes Spiel mit hohem Einsatz. "Will der Präsident wirklich ein zweites Vietnam in Afghanistan und Pakistan?", fragte die Politologin Phyllis Bennis vom Institute for Policy Studies in Washington und verwies darauf, dass Obamas Militäretat mit 664 Milliarden Dollar noch um 20 Milliarden Dollar höher sei als der von George W. Bush. Hinzu kämen in diesem Jahr weitere 77 Milliarden Dollar für den Kampf in "Afpak". Auch das US-Magazin "Newsweek" sprach bereits von "Obamas Vietnam".

Reichlich Angriffsfläche bot Barack Obama seinen Kritikern auch bei der Aufarbeitung des CIA-Folterskandals. Zunächst veröffentlichte er die Folter-Memos des Geheimdienstes - was ihm von ehemaligen CIA-Chefs und führenden Republikanern den Vorwurf einbrachte, er schwäche Amerika - dann verkündete er eine juristische Amnestie für die Folterer, was Bürger- und Menschenrechtler auf die Palme brachte. Zudem wurde ihm in Washington nahegelegt, das Ergebnis eines Kongress-Untersuchungsausschusses abzuwarten, bevor er solche Ansagen mache. Obama sah sich zu einer Kehrtwende gezwungen - nun kann er sich sogar vorstellen, Mitglieder der Bush-Regierung vor Gericht zu stellen. Die angekündigte Schließung des Folterlagers Guantanamo und der Verzicht auf "nachdrückliche Verhörtechniken" wirkten immerhin weltweit als positive Signale.

Harte Auseinandersetzungen mit den Republikanern gab es auch um Obamas 790 Milliarden Dollar teures Finanzpaket zur Wiederbelebung der US-Wirtschaft plus 75 Milliarden für Hausbesitzer. Viele Kritiker attackierten die Tatsache, dass der neue Präsident dabei ein ungeheures Haushaltsdefizit von 1,75 Billionen Dollar in Kauf nehme - auch die meisten europäischen Staaten lehnen einen so riskanten Wirtschaftskurs ab.

Barack Obama verlor auch sonst keine Zeit in seinen ersten 100 Tagen - er schwor die USA auf eine neue Klimapolitik ein, bei der die Öl verschlingende Supermacht sich gar an die Spitze der grünen Bewegung setzen will, hob die Beschränkungen der Bush-Ära bei der Stammzellforschung auf, unterzeichnete ein Gesetz zur Verbesserung der Krankenversicherung bei Kindern sowie ein weiteres, das die Rechte von diskriminierten Frauen gegenüber dem Arbeitgeber stärkt. Zudem reichte er dem Iran, überhaupt dem Islam und sogar gemäßigten Taliban die Hand. Ein rekordverdächtiges 100-Tage-Programm. In einer aktuellen ABC-Umfrage für die "Washington Post" meinen 63 Prozent der Amerikaner, Obama habe bereits viel erreicht.

Vor allem aber in Wort und Stil stellt die Ära Obama einen radikalen Bruch mit der Regierung seines Vorgängers dar. In mehreren Staaten entschuldigte sich der neue Präsident sogar für den rüden Ton der Bush-Zeit - was dessen ehemaliger Vizepräsident Dick Cheney "verstörend" fand.

"Stilistisch ist im Unterschied zu Bush ein unglaublicher Wandel festzustellen", sagt der Hamburger Politologe und Zeithistoriker Christian Hacke. "Barack Obama ist praktisch der Gorbatschow des Westens und des 21. Jahrhunderts", sagt der emeritierte Professor und Amerika-Experte. Obama habe in kürzester Zeit "Enormes" für das Ansehen der USA geleistet. Er habe ein solches Feuerwerk an Initiativen vom Stapel gelassen, "dass man gar nicht hinterherkam. Das ist sehr, sehr positiv."

Obamas neue Diplomatie unter dem Stichwort "konstruktiver Internationalismus", das spontane Zugehen auch auf selbst ernannte Feinde, die Umarmungstaktik gegenüber Russland und überhaupt die Ambivalenz und Eleganz beim Umgang mit strittigen Themen - das alles verdiene "höchste Bewunderung".

Aber: "Der realistische Härtetest kommt ja erst noch", sagt Professor Hacke. "Was passiert mit Blick auf Afghanistan - und noch viel schlimmer - Pakistan? Obama hat keine erkennbare Strategie - ihm könnte ein Vietnam drohen." Und Amerika habe nicht mehr die Macht und die Mittel, dort, "wo es auch was kostet, entsprechend aufzutreten. Das ist seine Achillesferse."

Jimmy Carters ehemaliger Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski vermisste in den ersten 100 Tagen eine richtungweisende Nahost-Rede. Wenn er die nicht bald halte, werde Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu den Kurs bestimmen - was ein Desaster wäre, sagte Brzezinski im US-Magazin "Time". Insgesamt kommt "Time" jedoch zu dem Fazit: "Der eindrucksvollste Start eines amerikanischen Präsidenten seit Roosevelt".