In Europa gibt es drei große Volkswirtschaften - Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Ohne die läuft in der Europäischen Union (EU) nichts.

Hamburg/London. In Europa gibt es drei große Volkswirtschaften - Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Ohne die läuft in der Europäischen Union (EU) nichts. Und die drei Staaten haben mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, Staatspräsident Nicolas Sarkozy und Premier Gordon Brown machtbewusste Politiker an der Spitze. Die beiden Männer sowie EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso trafen sich gestern in London - Angela Merkel war nicht eingeladen.

Vor einem Jahr wäre so etwas undenkbar gewesen. Da war die deutsche Regierungschefin die mächtigste Person in Europa. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 hatte sie mit den Klima-Beschlüssen sowie der Einigung über den EU-Reformvertrag erfolgreich absolviert und außerdem beim G8-Gipfel in Heiligendamm auf internationalem Parkett einen glänzenden Eindruck gemacht. Ohne die Kanzlerin, schon mal bewundernd "Miss World" genannt, ging nichts in der Politik.

Der große Unterschied: 2007 wirkte sie tatkräftig und entschlossen, jetzt eher defensiv und zögerlich. Und vor einem Jahr waren die wichtigsten europäischen Mitstreiter und Konkurrenten am Ende ihrer Karrieren. Der französische Staatspräsident Jacques Chirac übergab sein Amt am 16. Mai an Sarkozy. Und der britische Premier Tony Blair trat am 27. Juni zugunsten von Brown zurück.

In CDU und SPD sieht man keinen Affront gegen die Kanzlerin. Martin Schulz, Vorsitzender der Sozialisten-Fraktion im Europaparlament hält das Treffen für "eine der vielen spontanen Ideen von Sarkozy". Eine "Degradierung der Kanzlerin" sei es nicht, sagte Schulz dem Abendblatt. Und Elmar Brok, CDU-Außenpolitiker im Europaparlament, bemerkte gegenüber dem Abendblatt: "Gordon Brown ist doch auch nicht immer eingeladen, wenn Angela Merkel sich mit Nicolas Sarkozy trifft." Von "Missachtung der Kanzlerin" könne man nicht sprechen.

Für Gordon Brown, der unter Blair zehn Jahre lang britischer Schatzkanzler war, erwies sich die Banken- und Konjunkturkrise als großer Glücksfall: Im Frühjahr verzeichnete die Labour-Partei vernichtende Verluste bei Nachwahlen, die Umfragewerte waren im Keller, Browns Tage als Premier schienen gezählt. Es fand sich nur kein Parteifreund, der den Königsmörder geben wollte. Als sich dann jedoch die Finanzkrise entfaltete, brachte Brown seine Erfahrung ein und spannte als Erster in einem EU-Land Rettungsschirme auf.

Wie Brown ist auch Nicolas Sarkozy ein Gewinner der Finanz- und Wirtschaftskrise. Beide Politiker wollen auf die Bundesregierung Druck ausüben, damit die zur Linderung der Krise einen höheren Beitrag leistet. Ulla Brunkhorst von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) sagte dem Abendblatt: "Aus Sicht von Brown und Sarkozy geht die Bundeskanzlerin beim Konjunkturprogramm zu zögerlich vor."

Sarkozy nutzt als amtierender EU-Ratspräsident sein Amt, um sich als entschlossener Macher ins Szene zu setzen. "Frankreich arbeitet, Deutschland denkt nach", sagte der kleine hyperaktive Politiker - Spitzname "President Bling-Bling"- vor Kurzem. Altkanzler Helmut Schmidt hat Sarkozy denn auch gerade Sachkenntnis im Umgang mit der Finanzkrise bescheinigt.

Der "Sarkozy-Turbo" laufe in der Endphase der EU-Ratspräsidentschaft auf Hochtouren, heißt es in deutschen EU-Kreisen. Der Präsident wolle unbedingt "noch etwas drehen", so sei der Londoner Gipfel zu sehen.

Die Kanzlerin, die am Wochenende noch mit Sarkozy und Brown telefonierte, reagierte nicht. Sie verlässt sich auf die Stärke ihres Landes: Ohne Deutschland als größte europäische Volkswirtschaft kann in der EU nichts beschlossen werden.